Schmollo und der Winter - eine Geschichte zum Vorlesen für Kinder
- Michael Mücke

- 24. Sept.
- 4 Min. Lesezeit

Es war einmal ein Troll, und dieser Troll hieß Schmollo. Niemand wusste mehr so genau, wann er geboren wurde, denn Trolle lebten schon seit vielen, vielen Jahren in den tiefen Wäldern. Schmollo war groß, stark und kräftig, seine Schultern waren breit, und sein Gang ließ die Erde leicht beben. Aber trotz seiner Stärke hatte er eine besondere Eigenart: er war fast immer schlecht gelaunt.
Seine Stirn war in Falten gelegt, seine Augenbrauen tief herabgezogen, und seine Lippen formten fast ununterbrochen einen schmollenden Ausdruck. Darum nannten ihn alle Tiere im Wald nur Schmollo, und nie hörte man ein Lachen aus seiner Höhle.
Nun war es so, dass der Herbst langsam ging. Die Blätter waren bunt und raschelten auf dem Boden, und die Tiere sammelten Vorräte für die kalte Zeit. Schmollo aber saß in seiner dunklen Höhle, schaute hinaus und grummelte: „Der Winter kommt bald, und dann wird alles nur noch kälter, nasser und dunkler. Ich mag den Winter nicht.“
Bald fiel der erste Schnee. Dicke, weiße Flocken segelten vom Himmel und legten sich weich auf die Wiesen und Bäume. Die Welt verwandelte sich in ein glitzerndes Märchenland, und die Tiere freuten sich darüber. Die Hasen sprangen vergnügt durch den Schnee, die Eichhörnchen bauten kleine Schneekugeln, und selbst die Füchse rollten sich lachend im weißen Pulverschnee.
Nur Schmollo schüttelte den Kopf, zog seine Decke höher und murmelte: „Draußen ist es kalt, draußen ist es langweilig, und ich bleibe lieber hier drinnen.“
Doch eines Morgens musste er hinaus, weil das Holz für sein Feuer zur Neige ging. Schwerfällig stapfte er durch den Schnee, und jeder seiner Schritte hinterließ tiefe Spuren. Der Schnee knirschte unter seinen großen Füßen, und sein Atem bildete kleine Wölkchen in der klaren Luft. Überall hörte er das Lachen der Tiere.
Die Eichhörnchen warfen sich Schneebälle zu, die so fluffig aussahen, als bestünden sie aus Zuckerwatte. Schmollo brummte: „Was für eine alberne Spielerei.“ Doch da flog plötzlich ein Schneeball vor seine Füße.
Ein Eichhörnchen rief fröhlich: „Schmollo, spiel mit uns! Schneebälle machen Spaß!“ Schmollo runzelte die Stirn noch tiefer und schnaubte: „Ich spiele nicht mit Schnee. Schnee ist kalt und unnütz.“
Die Tiere zuckten mit den Schultern und spielten weiter, doch Schmollo spürte ein ganz leichtes Kribbeln in seiner Brust, so, als ob er einen winzigen Moment neugierig geworden war.
Am nächsten Tag ging Schmollo wieder hinaus, diesmal um Wasser vom gefrorenen Bach zu holen. Dort entdeckte er die Hasen, die eine lange Eisrutsche gebaut hatten. Sie sausten hinunter, einer nach dem anderen, und schrien dabei vor Vergnügen.
Ihre Ohren flatterten im Wind, und sie lachten so laut, dass der ganze Wald es hören konnte. Einer der Hasen rief: „Schmollo, komm doch auch! Es ist so aufregend!“
Doch Schmollo verschränkte die Arme, brummte: „Ich falle bestimmt, und dann lachen alle über mich.“ Trotzdem konnte er seinen Blick nicht von der Rutschbahn lösen. Er stellte sich heimlich vor, wie es wohl wäre, so schnell durch den Schnee zu gleiten.
Ein paar Tage später war der Himmel strahlend blau, und die Sonne ließ die Schneefelder funkeln wie Millionen kleiner Diamanten. Die Tiere hatten sich auf der großen Wiese versammelt, um einen Schneemann zu bauen.
Sie rollten Schneekugeln, eine immer größer als die andere, und sangen dabei fröhliche Lieder. Schmollo blieb am Waldrand stehen und murrte: „Ein Mann aus Schnee? Was für ein Unsinn.“
Doch plötzlich kam ein kleines Mäuschen auf ihn zu. Es schaute zu Schmollos riesigen Armen hinauf und piepste: „Schmollo, wir brauchen dich. Der größte Schneeball ist viel zu schwer für uns. Ohne dich schaffen wir es nicht.“
Schmollo seufzte tief, schüttelte den Kopf und brummte: „Na gut, aber nur dieses eine Mal.“ Er hob den riesigen Schneeball hoch, trug ihn vorsichtig und setzte ihn auf die anderen.
Die Tiere jubelten begeistert: „Hurra! Schmollo hat geholfen! Jetzt ist unser Schneemann perfekt!“
Schmollo spürte plötzlich etwas, das er lange nicht gefühlt hatte. Trotz der kalten Luft wurde ihm ganz warm ums Herz. Er hörte die Tiere lachen, sah ihre glücklichen Gesichter und bemerkte, dass auch seine Mundwinkel sich leicht hoben. Er murmelte leise: „Vielleicht ist der Winter gar nicht nur schlecht.“
In der folgenden Nacht konnte Schmollo kaum schlafen. Immer wieder dachte er an das Lachen der Tiere, an den Schneemann und an die funkelnde Winterlandschaft. Zum ersten Mal seit vielen Jahren schlief er mit einem leisen Lächeln ein.
Am nächsten Morgen fasste er einen mutigen Entschluss. Statt mürrisch in seiner Höhle zu bleiben, stapfte er hinaus und ging direkt zu den spielenden Tieren. Mit etwas unsicherer Stimme fragte er: „Darf ich heute mitmachen?“
Einen Moment lang herrschte Stille, doch dann riefen alle Tiere begeistert: „Natürlich, Schmollo, komm zu uns!“
Von da an änderte sich alles. Schmollo spielte Schneeballschlachten, er rutschte die Eisbahn hinunter und baute sogar mit den anderen einen ganzen Schneeburgen-Palast. Er lachte so laut, dass der Schall weit durch den Wald hallte.
Die Tiere waren erstaunt, denn sie hatten Schmollo noch nie lachen hören. Schmollo selbst konnte kaum glauben, wie schön es war, Spaß zu haben.
Am Abend kehrte er in seine Höhle zurück, müde, aber glücklich. Er legte sich auf sein Bett aus Moos und dachte: „Der Winter ist nicht so schlimm. Er kann mein Freund sein, wenn ich ihn lächeln lasse.“
So vergingen die Wintertage. Schmollo schmollte nicht mehr so oft, und selbst wenn er einmal die Stirn runzelte, wussten die Tiere, dass er es nicht so ernst meinte. Denn jetzt hatte Schmollo entdeckt, dass im Winter nicht nur Kälte herrschte, sondern auch Licht, Freude, Freundschaft und Abenteuer.
Und wenn die Schneeflocken wieder vom Himmel tanzten, dann dachte Schmollo jedes Mal: „Der Winter ist wunderschön.“ Und er lächelte.




