Erbeerlinchen und der Sturm - eine fruchtige Gute-Nacht-Geschichte für Kinder
- Michael Mücke

- 25. Aug.
- 4 Min. Lesezeit

Es war einmal ein kleines, fröhliches Wesen namens Erdbeerlinchen. Sie lebte in einem winzigen Häuschen, das aussah, als wäre es aus Blütenblättern und süßen Erdbeeren gebaut. Rundherum erstreckte sich ein großes Erdbeerfeld, das im Sommer herrlich duftete und in allen Rottönen leuchtete.
Schon früh am Morgen wurde Erdbeerlinchen von den Sonnenstrahlen geweckt, die sanft durch ihr Fensterchen fielen. Jeden Tag begann sie mit einem Lächeln, denn sie wusste: Draußen warteten Abenteuer, Freunde und unzählige kleine Wunder.
Erdbeerlinchen war nicht größer als eine Erdbeere selbst. Ihre Haut glänzte rosig, und ihr Kleid bestand aus weichen roten Blättern, die mit kleinen weißen Tupfen wie Blüten bestickt waren. Auf ihrem Kopf trug sie eine grüne Krone aus Blattlocken, die sich im Wind bewegten. Sie konnte mit den Bienen sprechen, verstand die Sprache der Käfer und sang manchmal mit den Vögeln im Chor.
An einem ganz besonderen Abend geschah jedoch etwas, das ihr Herz klopfen ließ. Die Sonne senkte sich langsam hinter die sanften Hügel, und die Glühwürmchen begannen ihre ersten goldenen Lichter zu entzünden.
Erdbeerlinchen saß vor ihrem Häuschen und sortierte kleine Erdbeerblüten in Körbchen, als plötzlich ein kräftiger Windstoß über das Feld wehte. Die Blätter rauschten laut, und ein fernes Grollen erklang.
„Hm, das klingt nicht wie gewöhnlich,“ murmelte sie nachdenklich und schaute zum Himmel hinauf.
Die Wolken, die sonst wie weiße Schafe über das Blau zogen, wurden schwarz und schwer. Sie türmten sich übereinander wie dunkle Berge, und dazwischen blitzte es schon leise. Die Tiere des Feldes bemerkten es ebenfalls.
Die Schmetterlinge flatterten hastig davon, die Marienkäfer rollten sich unter Blättern zusammen, und die Grashüpfer sprangen tief ins Gras. Erdbeerlinchen spürte, dass etwas Großes im Anmarsch war.
„Ein Sturm zieht auf,“ sagte sie entschlossen.
Sie fühlte ein Kribbeln in ihrem Bauch, das ihr sagte, dass sie in dieser Nacht gebraucht werden würde. Erdbeerlinchen war klein, doch sie war voller Mut. Sie schnappte sich ihr grünes Blättertuch, band es sich um die Schultern und stellte sicher, dass die Tür zu ihrem Häuschen fest verschlossen war. Dann machte sie sich auf den Weg über das Feld.
Der Wind zerrte an ihrem Kleid, die Grashalme bogen sich tief, und die ersten Regentropfen klatschten auf die Erde. Es war, als würde das Feld plötzlich lebendig werden.
Zwischen dem Brausen des Windes hörte Erdbeerlinchen ein leises Wimmern. Sie lauschte, hielt die Luft an und folgte dem Ton. Unter einem umgestürzten Erdbeerblatt fand sie eine kleine Maus, die in einer Pfütze feststeckte. Ihr Fell war ganz nass, und sie zitterte.
„Hab keine Angst, kleine Maus. Ich helfe dir,“ rief Erdbeerlinchen mit fester Stimme.
Mit beiden Händen zog sie die Maus behutsam heraus, und obwohl der Regen sie fast wieder hineindrückte, gab Erdbeerlinchen nicht auf. Endlich schaffte sie es, und die Maus atmete erleichtert auf. Gemeinsam suchten sie Zuflucht unter einem größeren Blatt, doch der Sturm wurde stärker.
Plötzlich krachte ein Ast von einem nahen Strauch herab und blockierte den Rückweg zu Erdbeerlinchens Häuschen. Die Maus begann zu zittern und rief: „Was machen wir jetzt? Wir kommen nicht mehr nach Hause!“ Erdbeerlinchen legte beruhigend ihre kleine Hand auf die Maus. „Vertraue mir. Wir finden einen sicheren Ort,“ sagte sie, auch wenn ihr eigenes Herz schnell schlug.
Gerade als sie nicht weiterwussten, erschien ein heller Lichtpunkt in der Dunkelheit. Es war Luzilo, das Glühwürmchen, das mit seinem goldenen Schein leuchtete.
„Folgt mir, ich kenne einen sicheren Weg,“ rief er mit heller Stimme. Dankbar folgten Erdbeerlinchen und die Maus seinem Licht. Luzilo führte sie durch das tosende Feld, vorbei an schwankenden Halmen, tropfenden Blättern und tiefen Pfützen.
Schließlich erreichten sie eine kleine Höhle unter einem großen Erdbeerstrauch. Dort war es trocken, warm und sicher. Schon warteten andere Tiere, die ebenfalls vor dem Sturm geflüchtet waren: ein dicker Igel, der sich schützend eingerollt hatte, zwei Marienkäfer, die ängstlich beieinandersaßen, und eine Schmetterlingsfamilie, die ihre Flügel trocknete. Alle waren froh, Erdbeerlinchen und die Maus zu sehen.
Drinnen machten sie es sich gemütlich, während draußen der Sturm tobte. Der Regen trommelte gegen die Blätter, der Donner rollte über den Himmel, und der Wind heulte durch die Felder. Doch die kleine Höhle war voller Wärme und Geborgenheit.
Erdbeerlinchen erzählte den anderen Tiere Geschichten von sonnigen Tagen, von bunten Blumen und süßen Erdbeeren, die im Licht funkelten. Der Igel brummte dazu ein tiefes, beruhigendes Lied, und die Schmetterlingskinder lauschten mit großen Augen.
Die Maus, die neben Erdbeerlinchen saß, seufzte erleichtert. „Ohne dich hätte ich es nicht geschafft. Danke, dass du so mutig bist,“ flüsterte sie. Erdbeerlinchen lächelte und strich ihr übers Fell. „Wir sind nie allein, wenn wir zusammenhalten,“ sagte sie sanft.
Stunde um Stunde verging, bis das Donnern leiser wurde und der Regen sanft nachließ. Der Wind legte sich, und plötzlich herrschte eine tiefe Stille.
Vorsichtig traten die Tiere hinaus. Über ihnen spannte sich ein klarer Himmel, und Millionen von Sternen funkelten so hell, als wollten sie den Sturm vergessen machen. Sogar ein Regenbogen schimmerte noch schwach im Mondlicht.
Erdbeerlinchen breitete die Arme aus und atmete die frische Luft tief ein. „Seht ihr,“ sagte sie, „nach jedem Sturm kommt wieder Ruhe und Licht.“ Die Tiere nickten, und in ihren Augen funkelte Dankbarkeit. Luzilo, das Glühwürmchen, tanzte fröhlich in der Luft, und die kleine Maus schmiegte sich an Erdbeerlinchen.
Gemeinsam begleiteten die Tiere Erdbeerlinchen zurück zu ihrem Häuschen. Dort war alles heil geblieben, und die Erdbeeren glänzten noch von den Regentropfen. Die Nacht war wieder friedlich, und nur das sanfte Zirpen der Grillen erfüllte die Luft.
Erdbeerlinchen legte sich müde, aber glücklich in ihr Bettchen aus Blütenblättern. Sie zog die Decke bis zum Kinn und schloss die Augen.
Bevor sie einschlief, dachte sie: „Ein Sturm kann uns Angst machen, aber er erinnert uns auch daran, wie stark Freundschaft und Zusammenhalt sind.“ Mit diesem Gedanken schlummerte sie ein, während die Sterne über dem Feld leuchteten und der Mond freundlich über alles wachte.




