Der Feenstaub des Glücks - eine herzliche Gute-Nacht-Geschichte
- Michael Mücke

- 15. Okt.
- 5 Min. Lesezeit

Flora war schon immer ein neugieriges Mädchen gewesen. Schon als kleines Kind hatte sie die Stunden damit verbracht, den Wiesen und Wäldern rund um das Dorf Blumengrund zu lauschen und die Welt um sich zu beobachten.
Sie liebte es, den Vögeln beim Singen zuzuhören, die Blumen zu pflücken und die Bienen zu beobachten, die von Blüte zu Blüte flogen. Doch was sie am meisten faszinierte, war der Wald, der immer tiefer und geheimnisvoller wirkte, je mehr sie sich ihm näherte.
Eines Morgens, als die Sonne hinter den Hügeln hervorbrach und die ersten Strahlen den Tau auf den Blättern glitzern ließen, hörte Flora wieder die seltsame Melodie.
Diesmal klang sie noch klarer, als käme sie direkt aus dem Wald. Sie war weich und zart, wie das Lied eines Vögelchens, das gerade erwacht. Flora spürte, dass es ein Zeichen war, dass heute der Tag war, an dem sie das Geheimnis des Waldes entdecken würde.
„Mama, ich gehe heute in den Wald,“ rief sie, als sie die Küche betrat, in der ihre Mutter gerade das Frühstück vorbereitete.
„Flora, der Wald ist ein großer Ort, und du weißt, dass du vorsichtig sein musst,“ antwortete ihre Mutter mit einem milden Lächeln, während sie ein frisches Stück Brot auf den Tisch legte.
„Vergiss nicht, auf dich selbst aufzupassen. Und wenn du etwas findest, dann nimm es nicht einfach.“
Flora nickte eifrig. Sie wusste, dass ihre Mutter immer einen guten Rat hatte, doch heute fühlte sie sich sicher. Heute war etwas anders. Die Sonne schien heller als je zuvor, und die Vögel sangen ein besonders fröhliches Lied. Flora spürte eine tiefe Ruhe in sich, als ob der Wald sie rufen würde, um etwas zu entdecken, das nur für sie bestimmt war.
Mit einer Tasche voller Apfelstückchen und einem Fläschchen Wasser machte sie sich auf den Weg. Der Wald lag vor ihr wie ein grünes Labyrinth aus hohen Bäumen, schimmernden Moosflächen und versteckten Pfaden, die in die Tiefe führten. Flora liebte diesen Wald. Er war für sie ein Ort der Magie, der Stille und der Geheimnisse.
Doch je weiter sie ging, desto mehr schien der Wald sich zu verändern. Der Nebel, der immer noch in den Baumkronen hing, nahm eine goldene Farbe an, und der Boden unter ihren Füßen wurde weicher, fast wie ein Teppich aus weichem Moos.
Schließlich, nach einer Weile des Wanderns, hörte sie die Flöte wieder, nur viel lauter und klarer. Der Klang schien sie zu leiten, und sie folgte ihm, als ob er sie an den Rand des Unbekannten führen würde.
Der Wald war jetzt so dicht, dass die Äste der Bäume fast wie ein Dach über ihr hingen. Doch Flora fühlte sich nicht verloren. Im Gegenteil, sie fühlte sich behütet, als ob der Wald sie auf seinem geheimen Weg begleitete.
Der Klang der Flöte führte sie schließlich zu einer Lichtung. Es war ein kleiner, offener Platz, umgeben von alten, knorrigen Eichen, deren Wurzeln sich wie Drachenarme um den Boden wanden.
In der Mitte der Lichtung stand ein Teich, so klar, dass er fast wie ein Spiegel wirkte. Flora trat näher und betrachtete das Wasser. Es war ruhig, fast unberührt. Doch als sie ihren Blick senkte, sah sie, dass sich das Bild im Teich plötzlich zu verändern begann.
Die Oberfläche des Wassers kräuselte sich leicht, und ein silberner, funkelnder Staub stieg aus dem Teich auf. Es war kein gewöhnlicher Staub, sondern etwas, das im Sonnenlicht schimmerte und flimmerte wie tausend kleine Sterne. Flora wusste sofort, dass dies der Feenstaub war, von dem sie so viel gehört hatte.
„Du hast es gefunden, Flora.“ Eine sanfte Stimme ertönte aus dem Nichts. Es war keine Stimme von einem Menschen, sondern etwas, das wie der Wind in den Bäumen klang.
„Du hast den Feenstaub des Glücks gefunden, aber du musst verstehen, dass er nicht einfach so in deine Hände gelegt werden kann. Er gehört denen, die das wahre Glück im Herzen tragen.“
Flora sah sich um, doch niemand war zu sehen. Der Staub wirbelte weiter um sie herum, und sie spürte, wie eine warme Welle der Freude durch ihren Körper strömte. Sie hatte keine Angst. Stattdessen fühlte sie sich seltsam friedlich und voller Vertrauen.
„Was muss ich tun?“, fragte sie, während sie den Teich weiterhin mit staunenden Augen betrachtete. „Wie kann ich den Feenstaub des Glücks nutzen?“
„Der Feenstaub des Glücks ist kein magischer Staub, den man in einer Flasche aufbewahren kann. Er lebt in deinem Herzen, in deiner Fähigkeit, die Welt mit Liebe und Hoffnung zu sehen. Der wahre Feenstaub des Glücks entfaltet sich, wenn du die Freude in den einfachen Dingen des Lebens findest und sie mit anderen teilst.“
Flora dachte nach. Sie hatte in ihrem Leben oft die Schönheit der kleinen Dinge gespürt – das Lächeln eines Freundes, die Farben des Sonnenuntergangs, das Lachen ihrer Mutter. Sie hatte die Freude an diesen einfachen Momenten immer geschätzt, doch nie hatte sie sich bewusst gemacht, wie wichtig es war, diese Momente mit anderen zu teilen.
„Wie kann ich diesen Feenstaub mit anderen teilen?“, fragte sie dann, während sie sich fragte, ob sie diese Magie wirklich verstehen konnte.
„Indem du dein Herz öffnest, Flora. Indem du die Welt um dich herum mit einer Seele voller Liebe und Dankbarkeit siehst. Der Feenstaub wird dich durch deine Taten und Worte begleiten. Er wird immer dort sein, wo du dich dafür entscheidest, das Gute zu verbreiten.“
Flora nickte langsam, als ihr klar wurde, dass Glück nicht von außen kommen konnte. Es war etwas, das man in sich selbst finden musste – und erst dann konnte man es mit anderen teilen. Sie dachte an ihre Eltern, ihre Freunde und alle Menschen in ihrem Dorf. Wie viele kleine Dinge konnte sie noch tun, um ihre Freude und ihr Glück mit ihnen zu teilen?
„Der Feenstaub des Glücks wird immer bei dir sein, Flora,“ sagte die Stimme noch einmal, bevor sie sich langsam im Wind verlor. „Er ist in dir, in deinem Blick auf die Welt. Du musst ihn nur sehen.“
Mit einem tiefen Gefühl der Ruhe und Dankbarkeit drehte Flora sich um und begann den Weg zurück zum Dorf. Der Wald schien sich zu lichten, und der Nebel, der ihn einst umhüllt hatte, war jetzt nur noch ein sanfter Hauch. Der Teich hinter ihr schimmerte noch immer im goldenen Sonnenlicht, aber Flora wusste, dass die wahre Magie nicht im Wasser oder im Staub lag – sondern in ihrem eigenen Herzen.
Von diesem Tag an ging Flora mit einer neuen Sicht auf die Welt. Sie sprach mit den Menschen im Dorf, schenkte ihnen ein Lächeln oder ein freundliches Wort, half den älteren Nachbarn mit ihren Gartenarbeiten und teilte ihre Freude an den kleinen Wundern des Lebens. Der Feenstaub des Glücks war nicht mehr nur eine Legende – er war in ihr, in jedem Moment, den sie mit Liebe und Hoffnung füllte.
Und der Wald? Der war für Flora kein Geheimnis mehr. Er war ein vertrauter Freund, der sie immer wieder einlud, die Magie des Lebens zu entdecken – die wahre Magie, die in den Herzen derjenigen liegt, die das Glück in den einfachsten Dingen finden.




