Timo Tiger und der Nachtwind - eine Geschichte zur Einschlafbegleitung für Kinder
- Michael Mücke

- 1. Nov.
- 4 Min. Lesezeit

Timo Tiger war ein kleiner, frecher Tiger, der in einem weiten, grünen Dschungel voller hoher Bäume, schillernder Blumen und plätschernder Bäche lebte. Der Dschungel war immer voller Leben – tagsüber war es ein Ort voller Gesänge von Vögeln, dem Rascheln der Blätter und dem Hämmern von Holzpechvögeln, die an den Bäumen klopften.
Doch wenn die Sonne hinter den Hügeln verschwand und der Mond sich langsam über den Horizont schob, änderte sich der Dschungel. In der Nacht wurde er zu einem geheimnisvollen Ort, an dem selbst die ältesten Bäume flüsterten und der Wind von alten Geschichten erzählte.
Timo Tiger liebte diese Zeiten, die Stunden, in denen der Tag sich verabschiedete und der Dschungel sich in eine andere Welt verwandelte. Es war in einer dieser Nächte, als er auf einem großen, weichen Felsen saß und den flimmernden Sternen nachsah, dass der kleine Tiger etwas ganz Besonderes erlebte.
Der Himmel war so klar wie nie zuvor, und der Mond schien in einem silbrigen Licht, das alles um ihn herum in einen zarten Schimmer tauchte. Es war fast, als ob der Mond ihn direkt ansah.
„Was ist das für ein seltsames Licht? Warum leuchtet der Mond heute so hell?“ dachte Timo laut und starrte neugierig nach oben.
In diesem Moment spürte er ein leises Rauschen, das durch die Baumwipfel zog. Es war der Nachtwind, der sanft über den Dschungel strich und die Blätter zum Flüstern brachte. „Komm, folge mir, Timo Tiger“, flüsterte der Wind, „Ich werde dir etwas zeigen, das nur die Mutigsten erfahren.“
Timos Augen weiteten sich. Er wusste, dass der Wind ihm ein Geheimnis verraten würde – ein Geheimnis, das ihn auf eine Reise führen würde, von der er nie wieder zurückkehren würde, ohne verändert zu sein. „Ich bin bereit!“ rief Timo, sprang von seinem Felsen und rannte los.
Der Wind spielte mit Timos flauschigem Fell und zog ihn in die Dunkelheit des Dschungels. Der Dschungel, der tagsüber so lebendig war, hatte in der Nacht eine andere, ruhigere Magie.
Timo lief durch den dichten Wald, die Bäume schienen sich über ihm zu wiegen, als wollten sie ihn begleiten. Die Luft war kühl, doch der Wind trug einen Hauch von etwas Besonderem mit sich. Es war ein Duft nach Freiheit, nach unentdeckten Orten und nach großen Abenteuern.
Die Bäume standen hoch und stolz um ihn herum. Ihr dichtes Blätterdach bildete ein Dach aus Schatten, das nur durch die Mondstrahlen durchbrochen wurde, die in silbernen Strahlen den Boden berührten.
Timo sprang über Wurzeln, die sich wie Schlangen durch den Boden wanden, und rannte über weiche, moosbedeckte Hügel. Der Wind nahm ihn mit, als wäre er selbst ein Teil dieses geheimen Spiels, das in der Nacht nur für ihn gespielt wurde.
Nachdem sie eine Weile gelaufen waren, erreichten sie eine Lichtung, die Timo noch nie zuvor gesehen hatte. In der Mitte der Lichtung stand ein riesiger, uralter Baum.
Der Baum war so hoch, dass seine Äste bis in den Himmel zu reichen schienen. Seine dicken, knorrigen Wurzeln gruben sich tief in die Erde und formten ein riesiges Netz, das den Boden wie ein Schutzschild bedeckte. Der Baum hatte ein seltsames, magisches Glühen.
Der Mond schien direkt auf ihn herab, und das Licht malte mystische Muster auf den Boden und die Blätter der Umgebung. Der Baum war wunderschön und gleichzeitig ein wenig unheimlich – als ob er eine Geschichte zu erzählen hatte, die so alt war wie der Dschungel selbst.
„Dies ist der Baum der Nachtgeheimnisse“, flüsterte der Wind. „Er ist älter als der Dschungel, älter als der Mond, älter als die Sterne. Nur wenige, die den Mut haben, ihn zu finden, dürfen seine Geschichten hören.“
Timo trat vorsichtig näher. Seine Pfoten hinterließen Spuren im weichen Boden, während der Mond ihm den Weg erleuchtete. Als er den Baum berührte, spürte er eine warme, beruhigende Energie, die von den Wurzeln bis in seinen kleinen Körper strömte. Es war, als ob er mit der Erde selbst verbunden war, als ob der Baum ihm etwas zuflüsterte.
„Was ist das für eine Geschichte?“ fragte Timo, seine Stimme war fast ein Flüstern.
Der Baum antwortete in einer tiefen, sanften Stimme, die wie das Rauschen des Windes klang.
„Es gibt viele Geschichten, die sich in der Nacht erzählen. Geschichten von mutigen Tieren, von Abenteuern und von Orten, die in den Tiefen der Träume verborgen sind. Doch die wichtigste Geschichte ist die der Sterne, die jede Nacht über uns wachen. Sie erzählen sich gegenseitig von den Wundern der Welt und von den mutigen Tieren, die ihren Träumen folgen.“
Timo Tiger hörte gespannt zu. „Und was passiert, wenn ein Tier seine Träume findet?“ fragte er.
Der Baum schwieg einen Moment, als ob er in die Tiefen der Zeit blickte. „Dann wird es zu einem Teil der Sterne“, sagte der Baum schließlich.
„Es wird eins mit dem Wind, mit den Blättern, mit der Dunkelheit und dem Licht. Es wird unsterblich, ein Teil der Geschichten, die der Wind und der Mond sich jede Nacht erzählen.“
Timo spürte, wie eine Welle der Erleuchtung ihn durchströmte. Es war, als ob er nun verstand, warum der Dschungel in der Nacht so magisch war. Es war nicht nur der Wind oder die Bäume, die die Geschichten erzählten, sondern auch die Tiere, die in ihren Träumen lebten.
„Ich möchte auch ein Teil dieser Geschichten sein“, flüsterte er und fühlte sich plötzlich sehr groß und mutig.
Der Wind wehte durch die Blätter und umhüllte Timo sanft. „Du bist es bereits“, sagte der Wind. „Du bist mutig und neugierig, Timo Tiger. Das sind die wichtigsten Eigenschaften, um ein Teil der Nachtgeschichten zu werden.“
Mit einem Lächeln auf den Lippen drehte sich Timo um. „Ich werde meine eigene Geschichte finden“, sagte er leise. Der Wind trug ihn sanft zurück zu seinem Heim im Dschungel, wo der weiche Boden der Lichtung langsam in den vertrauten, ruhigen Wald überging.
Als er zu Hause in seinem Bett aus weichen Blättern lag, blickte Timo zum Himmel hinauf. Die Sterne funkelten nun heller denn je, und der Mond schien eine silberne Spur am Himmel zu hinterlassen. Timo Tiger fühlte sich jetzt nicht mehr wie ein kleiner Tiger im Dschungel. Er fühlte sich wie ein Teil des Windes, der die Geschichten trug.
„Ich werde eines Tages meine eigene Geschichte erzählen“, flüsterte er, als seine Augen sich schlossen.
Der Wind zog durch den Dschungel, und in dieser Nacht sang er ein sanftes Lied, das Timo in einen tiefen, friedlichen Schlaf wiegte. Und während er träumte, wusste er, dass auch er bald ein Teil der Geschichten der Nacht sein würde – ein mutiger kleiner Tiger, der die Geheimnisse des Windes kannte.




