Knorbel möchte Pizza probieren - Gute-Nacht-Geschichte
- Michael Mücke

- 1. Juni
- 4 Min. Lesezeit

Tief im duftenden Smaragdwald, dort wo Moos wie Teppich wächst und Libellen in der Abenddämmerung tanzen, lebte noch immer der kleine Kobold Knorbel.
Seine Höhle war so gemütlich wie ein warmer Apfelkuchen, mit leuchtenden Pilzlampen an der Decke, einem Bücherregal aus Baumrinde und einem Schaukelstuhl aus gebogenen Wurzeln. Und mitten auf dem Tisch lag sein Schatz: das große, schwere Menschen-Kochbuch, das er bei einem verirrten Wanderer gefunden hatte.
Knorbel war ein echter Entdecker. Seit seinem großen Abenteuer mit den Spaghetti hatte er die Kunst der Nudelzubereitung perfektioniert. Doch eines Abends, als er auf Seite 143 blätterte, blieb er wie angewurzelt stehen. Vor ihm: ein rundes, goldbraunes Etwas, bedeckt mit glitzerndem Käse, roten Tomatenscheiben, grünen Kräutern und winzigen Pilzen.
„Pizza“, las Knorbel langsam und mit ehrfürchtigem Staunen. Allein das Wort schmeckte schon köstlich. Seine Augen wurden rund wie Teller. „Ein Teigkreis mit Soße, Käse und ALLEM drauf? Das ist ja... das ist ja... ein kulinarisches Wunder!“
Er sprang auf, wirbelte durch die Höhle, kramte seinen Rucksack hervor und begann zu packen: eine Lupe (für Pizzadetails), sein Spaghetti-Tagebuch, eine halbe Knolle Knoblauch (falls er auf Vampire trifft), einen winzigen Edelstein (für Glück) und natürlich sein rotes Koboldkäppchen.
Dann schloss er seine Höhle ab, indem er drei Mal mit dem Fuß aufstampfte und „Käse, Kräuter, Klappe zu!“ rief. Der Eingang verwandelte sich sofort in einen harmlosen Baumstumpf.
Knorbel marschierte los, durch dämmerndes Blattwerk, vorbei an gluckernden Bächen, über kichernde Wurzeln hinweg. Immer mit einem Ziel vor Augen: Pizza. Doch schon bald stellte er fest, dass Pizzas nicht einfach auf Bäumen wachsen. Und auch nicht unter Steinen liegen. Und sie hüpfen auch nicht fröhlich durch den Wald.
Am nächsten Tag erreichte er eine kleine Stadt am Waldrand. Dort roch es nach Abgasen, nassem Asphalt und – plötzlich! – nach heißem Teig, zerlaufenem Käse und würziger Tomatensoße. Knorbel zuckte zusammen wie ein Spürhund.
Seine Nase zuckte, seine Ohren wackelten, sein Magen grummelte vor lauter Hoffnung.
Der Duft führte ihn zu einem bunten Laden mit einem Schild, auf dem ein lachender Fladen abgebildet war: „Pizzeria Don Fungo“ stand da.
Knorbel beobachtete das bunte Treiben vor dem Laden: Menschen lachten, Kinder schwenkten Pizzastücke wie Fahnen, und ein junger Mann trug einen Turm aus Kartons. Der kleine Kobold drückte sich an eine Laterne und flüsterte: „Das ist es. Der Ursprung der Pizzamagie.“
Er wartete, bis niemand hinsah, dann kletterte er durch eine schiefe Dachrinne in die Küche. Er landete unsanft auf einem Sack mit Mehl und nieste so laut, dass der Pizzabäcker beinahe seinen Teig gegen die Decke schleuderte. „HATSCHI!“
„Mamma mia!“, rief der Bäcker, „Ein Mehlgeist!“
Knorbel rollte sich blitzschnell in einen Kochtopf, doch dabei schob er einen Stapel Mozzarella vom Tisch. Der Käse kullerte und glitt, bis er mit einem schmatzenden Geräusch gegen eine Wand prallte. Die Küche war in Aufruhr, und Knorbel raste davon, mit einem Käsestück auf dem Kopf und einem Olivenring über dem linken Ohr.
Er flüchtete in eine Seitengasse und fiel vor Erschöpfung gegen einen Fahrradständer.
„Na super“, murmelte er. „So nah, und doch so fern. Ich werde wohl nie Pizza kosten...“
Da ertönte eine Stimme. „Ähm... brauchst du Hilfe?“
Knorbel drehte sich um und blickte in das Gesicht eines Mädchens. Doch sie war kein gewöhnliches Mädchen: Ihre Hose war zu kurz, ihre Haare zu einem wilden Zopf geknotet, und ihr Rucksack war mit Knöpfen, Bonbonpapier und einer leeren Suppendose verziert. Sie trug keine Schuhe, sondern bunte Socken mit Loch.
„Ich bin Fenja“, sagte sie. „Ich sammel alles, was verloren geht. Du gehörst eigentlich nicht auf diese Straße, oder?“
Knorbel zögerte. Doch Fenja hatte etwas Ehrliches an sich. Etwas... Koboldhaftes. Also erzählte er ihr seine Geschichte – vom Spaghetti-Abenteuer, vom Pizza-Bild, vom Mehl-Unfall. Fenja hörte aufmerksam zu und lachte an den richtigen Stellen. „Du bist echt ein kleiner Draufgänger“, meinte sie. „Aber weißt du was? Mein Bruder arbeitet in Don Fungos Pizzeria. Ich bring dich rein. Ganz legal.“
So kam es, dass Knorbel am selben Abend durch den Hintereingang der Pizzeria geschmuggelt wurde – in einer leeren Käsekiste mit Luftlöchern. In der Küche roch es nach Wunder.
Fenjas Bruder, der große, fröhliche Pieto, staunte nicht schlecht, als aus dem Käsekarton ein winziger Kobold mit glänzenden Augen stieg. „Eine Pizza für den Herrn Kobold?“, fragte er und zwinkerte.
Die Pizza, die Pieto ihm servierte, war wie ein Sonnenuntergang auf einem Teller. Knusprig am Rand, weich in der Mitte, mit schmelzendem Käse, duftendem Basilikum, süßen Tomaten und kleinen, gebratenen Pilzen.
Knorbel nahm einen Bissen. Und noch einen. Und noch einen. Irgendwann saß er einfach nur da, die Hände auf dem Bauch, den Blick zur Decke gerichtet.
„Das ist nicht einfach nur Essen“, sagte er schließlich. „Das ist... eine runde Umarmung mit Käse!“
Fenja lachte, und Pieto reichte ihm eine winzige Pizzaschachtel für den Heimweg. „Für den Rückmarsch durch den Smaragdwald“, sagte er. „Und wenn du mal Lust auf Lasagne hast…“
Knorbel nickte. „Ich komm wieder.“
Als er später zurück in seiner Höhle war, klebte er ein Stück Pizzarinde in sein Tagebuch und schrieb:
„Knorbel. Pizza. Große Liebe.“
Dann schlief er ein, mit einem Grinsen im Gesicht und einem Traum, in dem er auf einer fliegenden Pizza durch die Nacht segelte, begleitet von Fenja auf einem Roller aus Salami.
Und irgendwo, tief im Wald, kicherte der Wind.




