Pila die kleine Eule sucht ein neues Zuhause - eine niedliche Vorlesegeschichte
- Michael Mücke

- 15. Sept.
- 4 Min. Lesezeit

Es war einmal eine kleine Eule namens Pila. Sie war noch jung, hatte aber schon gelernt, sehr gut in der Nacht zu fliegen. Ihr Gefieder war weich wie Wolken, ihre Augen leuchteten bernsteinfarben, und sie liebte es, vom höchsten Ast ihrer alten Eiche aus den Sternen zuzusehen. Dort, in ihrem gemütlichen Nest aus Zweigen, Blättern und weichem Moos, hatte sie bisher immer sicher geschlafen.
Doch eines Abends kam ein Sturm, wie Pila ihn noch nie erlebt hatte. Der Wind heulte, die Wolken warfen Blitze über den Himmel, und der Regen prasselte wie tausend Trommeln auf die Erde.
Pila klammerte sich ängstlich an ihr Nest, während die Äste der Eiche ächzten und knarrten. Schließlich brach ein Ast mit einem lauten Krachen, und das kleine Nest stürzte zu Boden. Pila flatterte erschrocken davon und suchte Schutz in einer Felsspalte.
Am Morgen, als die Sonne vorsichtig durch die Wolken blinzelte, flog sie zurück, um nachzusehen. Doch ihre Eiche war verwundet, viele Äste lagen zerbrochen auf dem Boden, und ihr Nest war verschwunden.
Pila spürte, wie ihr Herz schwer wurde. „Mein Zuhause ist fort,“ flüsterte sie traurig. „Ich habe keinen Platz mehr, an dem ich sicher schlafen kann.“
Pila atmete tief ein, schüttelte die Tropfen aus ihrem Gefieder und fasste einen mutigen Entschluss. „Wenn ich hier nicht mehr wohnen kann, dann muss ich ein neues Zuhause finden. Vielleicht gibt es in einem anderen Wald einen Platz für mich.“ Mit kräftigen Flügelschlägen erhob sie sich in die Luft und machte sich auf den Weg.
Der fremde Wald, den sie nach langer Reise erreichte, war viel größer, dichter und geheimnisvoller als ihr alter Wald. Die Bäume standen wie hohe Wächter dicht beieinander, und die Luft war erfüllt vom Duft nach feuchtem Moos, wilden Kräutern und Blüten.
Überall hörte sie Stimmen: das Rascheln kleiner Mäuse, das Summen der Bienen, das Knacken von Zweigen, wenn ein Reh hindurchschritt. Pila staunte über die Vielfalt, fühlte sich aber auch ein wenig verloren.
Auf einer Lichtung traf sie einen roten Fuchs, der gerade Beeren von einem Strauch naschte. Vorsichtig landete sie auf einem Ast über ihm.
„Hallo Fuchs,“ rief sie, „ich bin Pila. Mein altes Zuhause wurde vom Sturm zerstört, und nun suche ich ein neues Nest. Weißt du, wo ich wohnen könnte?“
Der Fuchs hob den Kopf, leckte sich die Schnauze und lächelte freundlich.
„Kleine Eule, in diesem Wald gibt es viele Bäume und Höhlen. Wenn du suchst, wirst du gewiss etwas Passendes finden. Aber sei wachsam, nicht jeder Ort ist so sicher, wie er aussieht.“
Pila bedankte sich und flog weiter. Zuerst entdeckte sie einen hohen Tannenbaum. Seine Äste ragten weit hinaus, und von oben hatte man eine wunderbare Aussicht.
Doch als sie ihre Krallen in die Nadeln setzte, pieksten sie so sehr, dass Pila erschrocken aufhüpfte. „Aua, hier ist es zu spitz und hart. Ich könnte hier nie ruhig schlafen,“ seufzte sie.
Weiter flog sie zu einer alten Weide, die ihre langen Äste sanft über einen stillen Teich hängen ließ. Das Plätschern des Wassers und das Schimmern der Spiegelung gefielen Pila sehr. Sie dachte schon, hier bleiben zu können.
Doch plötzlich quakten dutzende Frösche durcheinander, so laut, dass die Zweige bebten. „Oh nein, hier ist es viel zu laut. Ich würde niemals einschlafen,“ murmelte sie enttäuscht.
Am Waldrand entdeckte Pila eine kleine Höhle im Felsen. Neugierig flatterte sie hinein und kuschelte sich auf den kühlen Boden. Es war trocken und dunkel, aber bald hörte sie ein tiefes Brummen.
Ein großer Bär hatte hier seinen Schlafplatz, und Pila flog hastig hinaus, ehe er erwachte. „Das war knapp. Hier bin ich sicher nicht willkommen,“ dachte sie mit klopfendem Herzen.
Die kleine Eule wurde langsam müde von der Suche, aber sie wollte nicht aufgeben. Sie dachte an die Worte des Fuchses und flog tiefer in den Wald. Schließlich entdeckte sie eine mächtige alte Buche. Ihr Stamm war dick, die Äste weit ausgebreitet, und in einer Höhle zwischen den Wurzeln glitzerte etwas Weiches.
Vorsichtig schlüpfte Pila hinein und stellte fest, dass der Boden mit Moos ausgelegt war, das wie ein weicher Teppich duftete. „Oh, das ist wunderbar gemütlich,“ flüsterte sie erleichtert.
Gerade, als sie sich niederlassen wollte, hörte sie ein leises Rascheln. Ein kleiner Igel kroch verschlafen hervor und sah sie mit seinen dunklen Augen neugierig an.
„Hallo, wer bist du?“ fragte er vorsichtig. Pila erzählte ihre ganze Geschichte: vom Sturm, von der verlorenen Eiche, von der langen Suche und ihrer Hoffnung, endlich ein neues Zuhause zu finden. Der Igel hörte aufmerksam zu und nickte dann freundlich.
„Du darfst gerne hierbleiben, kleine Eule. Ich teile mein Zuhause mit dir, denn gemeinsam ist es schöner als allein.“
Pila war überwältigt vor Freude. Sie hatte nicht nur einen sicheren Platz gefunden, sondern auch einen neuen Freund. Von diesem Tag an lebte sie mit dem Igel zusammen in der Buche. Sie flogen oder liefen tagsüber durch den Wald, sammelten Beeren, erzählten sich Geschichten und lauschten den Liedern des Windes.
Wenn es regnete, kuschelten sie sich ins Moos und lauschten den Tropfen, die sanft gegen die Blätter klopften. Nachts blickten sie gemeinsam zu den Sternen hinauf und dachten sich kleine Märchen über die funkelnden Lichter am Himmel aus.
Jeden Abend, bevor Pila ihre Augen schloss, flüsterte sie leise: „Danke, dass ich ein Zuhause gefunden habe. Danke, dass ich nicht mehr allein bin.“
Und während der Wald in tiefer Ruhe schlief, wachte die Buche mit offenen Ästen über die kleine Eule und ihren neuen Freund.




