Opa Ernies verstecktes und geheimes Talent - eine herzliche Gute-Nacht-Geschichte
- Michael Mücke

- 17. Sept.
- 4 Min. Lesezeit

Opa Ernie wohnte in einem kleinen gelben Haus mit roten Dachziegeln, die im Abendlicht warm leuchteten. Sein Garten war voller bunter Blumen, die er jeden Tag hegte wie kleine Freunde.
In einer Ecke wuchs ein alter Apfelbaum, dessen Äste sich weit über die Wiese streckten, als wollten sie die Kinder beschützen, die oft darunter spielten. Der Garten war für die Nachbarskinder ein kleines Paradies, weil Opa Ernie nicht nur immer lächelte, sondern auch unendlich geduldig war und jedem Kind das Gefühl gab, etwas Besonderes zu sein.
Niemand konnte sich erinnern, wie alt Opa Ernie eigentlich war. Manche sagten, er sei schon ewig da gewesen, andere meinten, er müsse mindestens hundert Jahre alt sein. Doch wenn er lachte, dann lachte er so jugendlich und voller Freude, dass man das Gefühl hatte, er sei überhaupt nicht alt, sondern nur sehr, sehr weise.
Eines lauen Sommerabends, als der Himmel noch rosa und golden leuchtete und die ersten Grillen zu zirpen begannen, kamen die Kinder wie immer zu ihm in den Garten. Sie setzten sich auf kleine Holzbänke, und die Jüngeren kuschelten sich auf bunte Kissen, die Opa Ernie extra für sie bereitgelegt hatte. Er begann mit seiner ruhigen Stimme eine Geschichte zu erzählen, doch diesmal war etwas anders.
Die kleine Lina, die immer besonders neugierig war, unterbrach ihn plötzlich und fragte: „Opa Ernie, kannst du eigentlich etwas, was sonst keiner kann?“
Opa Ernie zwinkerte ihr zu, strich sich über seinen weißen Bart und antwortete: „Ach, vielleicht ja, vielleicht nein. Aber das ist ein großes Geheimnis.“
Die Kinder rückten sofort enger zusammen, ihre Augen funkelten vor Neugier. „Bitte, bitte zeig es uns!“ rief Max, der nie genug von Überraschungen bekommen konnte. Auch Sarah, die sonst eher schüchtern war, flüsterte leise: „Wir erzählen es auch wirklich niemandem.“
Da stand Opa Ernie langsam auf, ging in seine Garage und holte eine alte, staubige Holzkiste. Die Kinder hielten den Atem an, während er vorsichtig den Deckel öffnete. Drinnen lag, in ein buntes Tuch gewickelt, eine kleine goldene Mundharmonika, die im Licht der untergehenden Sonne funkelte. „Ohhh, wie wunderschön!“ hauchte Lina ehrfürchtig.
Opa Ernie hob das Instrument an seine Lippen. Erst war es ganz still, so still, dass man nur die Grillen und das Rascheln der Blätter hören konnte. Dann erklangen die ersten Töne, leise, weich und warm.
Die Musik schwebte durch den Garten wie ein sanfter Windhauch, der die Herzen berührte. Die Kinder hörten gebannt zu, und plötzlich geschah etwas Magisches: Die Glühwürmchen im Garten flogen näher und begannen, im Takt der Musik zu leuchten.
„Schaut mal, die Glühwürmchen tanzen!“ rief Lina begeistert, und die anderen Kinder klatschten staunend in die Hände. Die Melodie wurde fröhlicher, sprudelnd wie ein kleiner Bach, und die Glühwürmchen formten Muster in der Luft, die wie Sterne aussahen.
Die Blumen im Garten öffneten ihre Blüten weiter, als wollten sie den Klang noch besser hören. Selbst die alten Holztüren der Garage knarrten leise im Rhythmus mit.
Opa Ernie wechselte zu einer neuen Melodie, die schwungvoll und lebendig war. Plötzlich schien der ganze Garten zu tanzen. Die Kinder sprangen auf, drehten sich lachend im Kreis und hielten sich an den Händen.
Max rief lachend: „Das klingt wie ein Zirkus, der durch die Straßen zieht!“
Sarah hüpfte fröhlich neben ihm her, und sogar die Katze Minka, die sonst nur schläfrig in der Sonne lag, bewegte ihren Schwanz im Takt.
Doch Opa Ernie konnte nicht nur fröhliche Lieder spielen. Er wechselte zu einer langsamen, beruhigenden Melodie, die so weich war wie eine Umarmung. Die Kinder setzten sich wieder hin, ihre Augen wurden schwer, und sie fühlten sich, als ob sie in Watte eingehüllt wären. Es war, als ob die Musik ihnen sagte: „Ihr seid sicher, ihr seid geliebt, ihr dürft einfach glücklich sein.“
Als die letzten Töne verklangen, legte Opa Ernie die Mundharmonika behutsam zurück in das bunte Tuch. Die Kinder klatschten begeistert, und einige hatten sogar Tränen der Rührung in den Augen. „Das war das Schönste, was wir je erlebt haben!“ rief Sarah.
Opa Ernie lächelte geheimnisvoll und sagte: „Manchmal versteckt man ein Talent lange, damit es im richtigen Moment seine ganze Freude schenken kann. Musik ist mehr als nur Töne. Sie kann Herzen verbinden, Erinnerungen wecken und sogar die Natur zum Tanzen bringen.“
Die Kinder baten ihn, jeden Abend zu spielen, doch Opa Ernie schüttelte sanft den Kopf.
„Nicht jeden Abend, meine Lieben. Denn wenn etwas zu oft geschieht, verliert es seinen Zauber. Aber wenn die Sterne besonders hell leuchten und der Wind ganz leise flüstert, dann werde ich euch wieder überraschen.“
An diesem Abend gingen die Kinder mit leuchtenden Augen nach Hause. Sie hielten ihre Geheimnisversprechen fest in ihren Herzen und erzählten niemandem von dem Wunder, das sie gesehen hatten.
In ihren Betten kuschelten sie sich in die Decken, schlossen die Augen und hörten in Gedanken immer noch die zauberhafte Melodie. Sie fühlten sich geborgen, als würde Opa Ernies Musik sie wie eine warme Decke umhüllen.
Und während die Kinder friedlich einschliefen, saß Opa Ernie auf seiner Terrasse, blickte in den Sternenhimmel und flüsterte leise: „Danke, dass ich meine Freude teilen darf.“
Er wusste, dass er den Kindern nicht nur ein Geheimnis, sondern auch ein Stück seines Herzens geschenkt hatte.
So wurde Opa Ernies verborgenes Talent zu einem leuchtenden Schatz in den Herzen der Kinder, und jeder von ihnen trug dieses besondere Erlebnis wie eine kleine Flamme der Freude in sich, die niemals erlöschen würde.




