Norro Salzfell und die unbekannte Insel - eine tierische Geschichte mit Piraten
- Michael Mücke

- 3. Okt.
- 4 Min. Lesezeit

Norro Salzfell, die tapfere Piratenmaus mit dem wettergegerbten Dreispitz und dem winzigen goldenen Kompass um den Hals, segelte über das nächtliche Meer. Es war eine Nacht, wie er sie selten erlebt hatte: Der Wind wehte nur schwach, die Wellen klatschten sanft gegen den Bug seines Schiffes, und am Himmel funkelten unzählige Sterne wie verstreute Diamanten.
Der Kompass, der schon viele Male seine Richtung verändert hatte, zeigte nun plötzlich auf einen Punkt, der nicht auf seiner Karte stand. Norro hielt den kleinen Zeiger genau im Auge und murmelte: "Eine neue Richtung bedeutet ein neues Abenteuer."
Je länger er segelte, desto dichter wurde ein geheimnisvoller Nebel vor ihm. Das Meer schien zu flüstern, als ob es ihm Geschichten zuflüstern wollte, und eine Gänsehaut lief ihm über den Rücken. Doch Norro war kein Pirat, der sich leicht einschüchtern ließ. Mutig stellte er das Steuerrad fest und rief: "Zeig mir, was du verbirgst, Nebelmeer!"
Als die ersten Sonnenstrahlen die Nacht durchbrachen, entdeckte er die Silhouette einer Insel, die so fremd und ungewöhnlich aussah, dass er einen Moment lang die Luft anhielt.
Die Insel lag wie eine riesige Katze im Wasser, mit runden Hügeln als Rücken und Palmen, die wie aufgestellte Schwänze in den Himmel ragten. Der Nebel hob sich langsam, und Norro spürte sofort, dass er einen Ort gefunden hatte, der nicht einfach so auf irgendeiner Karte stehen konnte. "Unbekannte Insel, ich komme," rief er und steuerte auf den feinen Sandstrand zu.
Kaum an Land, fiel ihm die unglaubliche Farbenpracht ins Auge. Die Pflanzen wirkten lebendig, als ob sie ihn mit neugierigen Blicken musterten. Bäume trugen Früchte in allen Regenbogenfarben.
Manche sahen aus wie durchsichtige Glaskugeln, in denen kleine Lichter funkelten, andere erinnerten an leuchtende Sterne, die man pflücken konnte. Norro pflückte eine tiefblaue Frucht, die süß nach Honig roch, und probierte vorsichtig einen Bissen.
Der Geschmack war frisch und spritzig, mit einem Hauch von Zimt und Minze zugleich. "So etwas habe ich noch nie gegessen," rief er begeistert und wischte sich die Schnurrhaare ab.
Nicht nur die Pflanzen waren ungewöhnlich. Überall auf der Insel wimmelte es von erstaunlichen Wesen. Schillernde Käfer mit Flügeln aus Glas schwirrten umher und summten Melodien, die fast wie Flötenmusik klangen.
Riesige Schnecken krochen gemächlich über den Waldboden, und ihre Häuser waren so bunt wie Regenbogen. Auf Ästen hingen Vögel mit glimmenden Federn, die im Dunkeln leuchteten, als wären sie kleine Sterne.
Einmal raschelte es im Gebüsch, und ein Tier mit sechs Beinen und einem freundlichen Gesicht schaute kurz heraus, bevor es wieder verschwand. Norro konnte sich kaum sattsehen und flüsterte: "Diese Insel ist voller Wunder."
Nach einer Weile entdeckte er mitten in einer Lichtung eine Hütte. Sie war gebaut aus Bambus, Muscheln und großen Palmblättern, und am Eingang flatterten bunte Bänder, die leise im Wind klangen. Vorsichtig trat er näher, als plötzlich eine Gestalt aus der Hütte kam.
Es war ein kleines, freundliches Wesen mit grauem Fell, langen Ohren und einer bunten Feder im Haar. Es trug eine Weste aus Seegras und lächelte Norro an. "Willkommen, Reisender," sagte es mit klarer Stimme, "ich bin Aira, die Hüterin dieser Insel."
Norro verbeugte sich höflich und stellte sich ebenfalls vor. Schon bald saßen sie nebeneinander auf einer Wurzel und sprachen lange. Aira erzählte ihm, dass die Insel nur jenen sichtbar werde, die mutig, neugierig und voller Abenteuerlust seien.
"Viele Segler fahren hier vorbei, ohne sie jemals zu sehen," erklärte sie. "Nur Herzen, die an Wunder glauben, finden ihren Weg hierher."
Gemeinsam erkundeten sie die Insel. Aira führte Norro zu einem geheimen Wasserfall, dessen Wasser wie flüssiges Silber schimmerte und eine Melodie sang, wenn es auf die Felsen prasselte. Sie kletterten in eine Höhle, deren Wände voller Kristalle waren, die in allen Farben funkelten.
Norro sah sein Spiegelbild in tausendfacher Schimmerung tanzen und sagte staunend: "So schön habe ich die Welt noch nie gesehen." Aira nickte lächelnd und antwortete: "Die Welt ist voller Geheimnisse, wenn man nur genau hinsieht."
Sie streiften über Wiesen, auf denen Blumen wuchsen, die beim Berühren kleine Lichtfunken freigaben. Sie tranken aus klaren Quellen, deren Wasser süß wie Saft schmeckte, und Norro erzählte im Gegenzug von seinen Abenteuern auf dem Meer. Aira hörte gebannt zu, während ihre Augen neugierig glänzten.
Als die Sonne am Horizont unterging und den Himmel in Gold und Rosa tauchte, wurde es still. Nur das Rauschen des Meeres war zu hören. Norro spürte, dass er nicht einfach wieder alleine in See stechen konnte.
Er schaute Aira an und fragte: "Hast du jemals daran gedacht, diese Insel zu verlassen, um das Meer und seine Wunder zu entdecken?"
Aira schwieg einen Moment lang und sah zu den leuchtenden Früchten in den Bäumen. Dann glitzerte ein Funken Abenteuerlust in ihren Augen. "Vielleicht ist es Zeit für mich, neue Wunder zu suchen," sagte sie leise.
Am nächsten Morgen, als die ersten Sonnenstrahlen die Insel in warmes Licht tauchten, legte Norro wieder ab. Doch diesmal war er nicht mehr allein. Aira stand stolz neben ihm, die Feder im Haar wehend, bereit für das nächste große Abenteuer.
"Ab heute sind wir eine Mannschaft," rief Norro fröhlich. Aira lachte und erwiderte: "Und gemeinsam werden wir jedes Geheimnis des Meeres lüften."
Langsam verschwand die Insel im Nebel, als hätte sie sich wieder in den Schlaf zurückgezogen. Doch Norro wusste, dass sie immer dort sein würde – ein geheimnisvoller, wundervoller Ort, voller Farben, Früchte und Lieder.
Mit Aira an seiner Seite fühlte er sich stärker, glücklicher und neugieriger als je zuvor. Denn für eine Piratenmaus wie Norro Salzfell begann jedes Abenteuer genau dort, wo das Meer am geheimnisvollsten glitzerte.




