Maureen Mäuseweis, die groẞe Künstlerin aus dem Westerwald - eine träumerische Gute-Nacht-Geschichte
- Michael Mücke
- vor 6 Tagen
- 4 Min. Lesezeit

Es war einmal, tief im geheimnisvollen Westerwald, eine kleine Maus, die alle Maureen Mäuseweis nannten. Sie war nicht größer als eine Haselnuss, doch ihr Herz war voller Träume, die viel größer waren als sie selbst.
Während ihre Brüder und Schwestern emsig Körner sammelten und Vorräte anlegten, streifte Maureen neugierig durch die Wiesen, Wälder und Täler. Sie betrachtete jedes Blatt, jede Blüte, jeden Tropfen Morgentau so, als wären sie Wunder, die nur darauf warteten, entdeckt zu werden.
Maureen hatte ein besonderes Auge für Farben. Wo andere nur eine einfache Blume sahen, entdeckte sie ein ganzes Feuerwerk an Nuancen. Sie betrachtete das zarte Rosa der Apfelblüten, das tiefe Blau der Kornblumen und das strahlende Gelb der Butterblumen.
Oft blieb sie stundenlang sitzen, zeichnete mit einem dünnen Zweig Muster in den Sand oder mischte aus Blütenstaub und zerdrückten Beeren ihre eigenen Farbtöne. Dabei flüsterte sie verträumt: "Eines Tages werde ich die Farben des Waldes festhalten, damit niemand sie je vergisst."
Ihr kleines Atelier war nichts weiter als eine Höhlung unter der alten Buche, in der sie lebte. Doch darin stapelte sich eine bunte Sammlung: Steinchen, die in der Sonne glitzerten, zerbrochene Schneckenhäuser, die Regenbogenfarben zeigten, und sogar kleine Federn, die die Vögel verloren hatten. Aus allem machte sie Farben, Pinsel und Leinwände. Manchmal bemalte sie große Blätter, manchmal die Rinde gefallener Äste, manchmal sogar den Erdboden selbst.
Die anderen Mäuse hielten sie oft für sonderbar. Ihre Schwester Mina seufzte einmal: "Maureen, wir brauchen Vorräte, keinen Farbklecks an der Wand."
Doch Maureen antwortete nur sanft: "Manchmal ist ein Farbklecks wertvoller als tausend Körner." Und während Mina den Kopf schüttelte, strahlten Maureens Augen voller Zuversicht.
Eines Abends, als der Vollmond wie eine silberne Scheibe über den Wipfeln hing, geschah etwas Außergewöhnliches. Ein starker Windstoß fegte über die Wiese und riss eines ihrer bemalten Blätter fort.
Es flatterte hoch hinauf, wurde von den Luftströmen getragen und landete direkt vor den Füßen einer majestätischen Eule, die gerade über den Wald glitt. Die Eule betrachtete die Muster, die in geheimnisvollem Glanz leuchteten, und rief erstaunt: "Welch seltsame Schönheit ist dies? Wer kann so etwas erschaffen haben?"
Neugierig flog die Eule weiter und zeigte das Blatt den Rehen am Waldrand. Diese beugten ihre schlanken Köpfe darüber und flüsterten: "So etwas haben wir noch nie gesehen." Von da an verbreitete sich die Nachricht rasend schnell im Wald: Eine kleine Maus schaffe Bilder, die schöner seien als der Morgentau im Sonnenlicht.
Bald klopften die ersten Tiere an Maureens Bau.
Der alte Dachs, der sonst eher grummelig war, fragte sie mit brummender Stimme: "Kannst du mir zeigen, wie du das machst?" Die Hasen hüpften neugierig herbei, die Füchse lugten aus der Ferne, sogar die Wildschweine schauten vorbei. Alle wollten sehen, wie die kleine Maus die Welt in Farben tauchte.
Maureen wurde ein wenig schüchtern, denn sie war es nicht gewohnt, im Mittelpunkt zu stehen. Doch sie holte ihre bemalten Blätter hervor und legte sie ins Mondlicht. Die Tiere hielten den Atem an. Muster wie Wellen, Sterne und Blumen schimmerten darauf. Schließlich sagte Maureen: "Ich male nicht, um berühmt zu sein. Ich male, damit wir nie vergessen, wie schön unser Zuhause ist."
Von diesem Tag an halfen ihr alle Tiere. Die Bienen brachten leuchtenden Blütenstaub, die Eichhörnchen schleppten bunte Beeren, die Elstern sammelten glänzende Steinchen.
Selbst die Ameisen trugen Tropfen Harz bei, damit die Farben länger hielten. Aus allem mischte Maureen neue Töne, die in keinem Regenbogen vorkamen. Bald waren die Stämme der Bäume mit Bildern bedeckt: tanzende Sterne, springende Rehe, fliegende Vögel, und sogar der Fluss wurde von ihren Farben gespiegelt.
Der ganze Wald begann sich zu verwandeln. Abends, wenn die Sonne unterging, versammelten sich die Tiere, um die Bilder anzusehen. Sie flüsterten andächtig: "Siehst du, wie unser Wald jetzt leuchtet? Er war immer schön, aber Maureen zeigt uns, wie viel mehr in ihm steckt."
Doch dann kam der Tag des großen Gewitters. Schwarze Wolken türmten sich auf, der Wind heulte durch die Wipfel, und der Regen prasselte unaufhörlich. Maureens Bilder wurden fortgespült, die Farben zerflossen und verschwanden in den Pfützen. Die Tiere waren verzweifelt. Ein junger Hase jammerte: "Alles ist verloren. Nichts bleibt von der Schönheit übrig."
Doch Maureen stellte sich inmitten des Regens auf einen Stein und rief: "Farben verschwinden, doch Erinnerungen bleiben. Schönheit lebt nicht nur auf Blättern oder Bäumen, sie lebt in unseren Herzen." Die Tiere verstummten und lauschten. Da spürten sie, dass sie recht hatte.
Am nächsten Morgen schien die Sonne auf die Tropfen, die an den Blättern hingen, und der ganze Wald glitzerte wie aus Glas. Maureen nahm einen Grashalm, tauchte ihn in die funkelnden Tropfen und begann erneut zu malen. Die Tiere jubelten, und ein Reh sagte bewegt: "Solange Maureen malt, wird unser Wald niemals vergessen, wie schön er ist."
Und so lebte Maureen Mäuseweis weiter als die große Künstlerin des Westerwaldes. Ihre Bilder vergingen zwar mit Wind und Regen, doch ihre Kunst bestand in etwas Größerem: Sie ließ die Tiere den Zauber ihrer Heimat mit neuen Augen sehen.
Und wenn heute die Sterne über den Wipfeln glitzern, sitzt Maureen manchmal still vor ihrer Buche, schaut zum Himmel und flüstert: "Danke, dass ich malen darf, danke, dass die Welt mir ihre Farben schenkt."