Lulu und Lenny und der Traum vom Meer
- Michael Mücke
- 24. Nov. 2024
- 3 Min. Lesezeit

Am Rande eines glitzernden Waldteiches lebten zwei neugierige Libellen: Lulu, die immer einen Witz auf den Lippen hatte, und Lenny, die klügste Libelle im ganzen Schwarm. Sie waren beste Freunde und verbrachten ihre Tage damit, über die Wasseroberfläche zu flitzen und mit den Fröschen Verstecken zu spielen.
Eines Tages hörten sie die alte Schildkröte Trudi am Teichrand von einem unglaublichen Ort erzählen: dem grossen Meer. „Es ist unendlich weit, tief und geheimnisvoll“, erklärte Trudi mit ihrer kratzigen Stimme. „Dort gibt es Wellen so hoch wie Bäume, und die Luft riecht nach Salz.“ Lulu und Lenny schauten sich an, ihre Flügel zuckten vor Aufregung.
„Lulu“, flüsterte Lenny, „wir müssen das Meer sehen!“ „Unbedingt! Aber wir dürfen uns nicht verirren“, erwiderte Lulu und grinste. „Vielleicht brauchen wir eine Karte?“ „Eine Karte? Wir brauchen Abenteuergeist!“
Noch in derselben Nacht, als der Mond wie eine silberne Scheibe am Himmel hing, packten sie sich Proviant ein: ein paar Tropfen süssen Tau, ein Stück Algenblatt, und als Glücksbringer eine winzige Muschel, die Lulu gefunden hatte. „Bereit?“ fragte Lenny. Lulu nickte, ihre Flügel schimmerten in der Dunkelheit. „Auf ins grosse Abenteuer!“
Die Reise begann gut. Der Wind trug sie über Wiesen und Felder, vorbei an
summenden Bienen und singenden Grillen. Lulu lachte, als Lenny bei einem plötzlichen Windstoss einen Purzelbaum in der Luft machte. „Hast du deinen Orientierungssinn verloren?“ neckte sie.„Natürlich nicht! Ich… teste nur die Aerodynamik“, verteidigte sich Lenny, während er sich wieder fing.
Doch bald wurde es schwieriger. Ein dichter Wald tauchte vor ihnen auf, und die hohen Bäume liessen kaum Licht hindurch. „Das sieht gruselig aus“, murmelte Lulu. „Was, wenn es hier Fledermäuse gibt?“ „Keine Sorge“, sagte Lenny, „wir fliegen einfach geradeaus. So lange wir dem Mondlicht folgen, kommen wir durch.“ Doch die dichten Blätter verdeckten das Licht, und bald hatten sie die Orientierung verloren.
Plötzlich flackerte etwas in der Dunkelheit. Es war ein Glühkäfer! „Wer seid ihr denn, so weit weg von eurem Teich?“ fragte er mit einer tiefen Stimme.„Ich bin Lulu, und das ist Lenny. Wir wollen das Meer sehen! Aber… wir haben uns wohl verlaufen.“„Das Meer?“
Der Glühkäfer leuchtete vor Staunen. „Ich habe davon gehört, aber selbst noch nie dort gewesen. Ich bringe euch aus dem Wald – aber nur, wenn ihr mir etwas erzählt.“„Was denn?“ fragte Lulu neugierig.„Einen Witz!“ verlangte der Glühkäfer.
Lulu grinste breit. „Na gut. Was sagt ein Teichfrosch, wenn er ein Rätsel löst? Quakulatorisch!“ Der Glühkäfer brach in schimmerndes Gelächter aus und führte sie mit seinem Licht sicher aus dem Wald.
Nach dem Wald erreichten Lulu und Lenny eine hügelige Landschaft. Die Berge waren riesig und schienen bis in den Himmel zu reichen. „Wie kommen wir da drüber?“ fragte Lulu. „Vielleicht können wir den Wind nutzen“, schlug Lenny vor. Sie warteten auf eine Böe, die stark genug war, und liessen sich von ihr in die Höhe tragen. Der Wind war so kräftig, dass Lulu laut auflachen musste, während sie durch die Wolken segelten. „Ich fühle mich wie ein Vogel!“ rief sie.
Hinter den Bergen begann die Luft sich zu verändern. Sie roch salzig, genauso wie Trudi es beschrieben hatte. „Das Meer muss nah sein!“ sagte Lenny aufgeregt. Doch ihre Flügel fühlten sich schwer an, und sie beschlossen, auf einem Felsen zu rasten.
Als sie schliesslich über den letzten Hügel flogen, sahen sie es: das Meer. Es glitzerte im Licht der aufgehenden Sonne und dehnte sich bis zum Horizont aus. Die Wellen rollten wie spielende Riesen über die Oberfläche, und Möwen kreisten in der Luft. Lulu und Lenny waren sprachlos.
„Das ist… das Schönste, was ich je gesehen habe“, flüsterte Lulu. „Und wir haben es geschafft!“, fügte Lenny hinzu.
Sie flogen über den Strand und landeten schliesslich auf einem Stück Treibholz, das sanft auf den Wellen schaukelte. Eine neugierige Krabbe kam vorbei und schnappte mit ihren Scheren. „Wer seid ihr und was macht ihr hier?“ fragte sie. „Wir sind Lulu und Lenny. Wir sind gekommen, um das Meer zu sehen“, erklärte Lenny stolz. „Na dann, willkommen“, sagte die Krabbe und zwinkerte. „Passt nur auf, dass ihr nicht nass werdet.“
Nach einer Weile beschlossen Lulu und Lenny, zurück nach Hause zu fliegen. Sie hatten genug Abenteuer erlebt, um dem ganzen Schwarm am Teich davon zu erzählen. Auf dem Rückweg lachten sie über ihre Begegnungen mit der Krabbe und dem Glühkäfer und schmiedeten Pläne für ihre nächste Reise.
Als sie schliesslich den Teich erreichten, empfingen die anderen Libellen sie mit neugierigen Fragen. Lulu und Lenny erzählten von den hohen Wellen, dem salzigen Wind und der schimmernden Weite des Meeres. Die kleine Muschel, die sie als Beweis mitgebracht hatten, wurde zum wertvollsten Schatz am Teich.
Und als die Sonne unterging, kuschelten sich Lulu und Lenny nebeneinander auf ein Blatt. „Das Meer war toll“, flüsterte Lulu, „aber unser Teich ist auch ziemlich grossartig.“
„Das stimmt“, murmelte Lenny und gähnte. „Aber das nächste Abenteuer wartet schon…“Und mit einem Lächeln schliefen die beiden ein, während die Sterne über ihrem Teich funkelten.
Ende.