Küken auf Entdeckungstour
- Michael Mücke
- 22. Nov. 2024
- 4 Min. Lesezeit

Es war ein warmer Frühlingsabend, als die Sonne langsam hinter den Hügeln des kleinen Dorfes Gödnitz verschwand. Gödnitz war ein ruhiger Ort mit bunten Fachwerkhäusern, Kopfsteinpflasterstrassen und einem grossen Bauernhof am Waldrand. Auf diesem Hof lebten zwei frisch geschlüpfte Küken, Pip und Poppy, die kaum stillsitzen konnten vor Neugier auf die Welt.
Pip und Poppy schlüpften durch ein kleines Loch im Zaun und standen plötzlich auf einer weiten Wiese. Überall glitzerten die Tautropfen auf dem Gras im letzten Licht des Tages. „Oh! Das ist ja wunderschön!“ rief Poppy begeistert und pickte neugierig an einem Tropfen. Der Tropfen zerplatzte und hinterliess eine kühle, kitzelnde Spur auf ihrem Schnabel.
„Poppy, ich glaube, wir müssen noch mehr entdecken! Schau mal, da hinten bei dem grossen roten Gebäude – was ist das wohl?“ Pip zeigte mit seinem kleinen Flügel auf die Scheune.
„Komm mit, Pip, das finden wir heraus!“ Und schon watschelten die beiden los.
Nachdem Pip und Poppy die Scheune verlassen hatten, stolperten sie fast in eine neue Überraschung. Vor ihnen stand ein grosser, prächtiger Hahn mit einem strahlend roten Kamm, der sie streng musterte. Es war König Karl, der stolze Gockel des Bauernhofs, der über die Ordnung auf dem Hof wachte.
„Na, na, was haben wir denn hier?“ krähte Karl und stolzierte um die beiden kleinen Küken herum. „Kleine Ausreisser, was? Wisst ihr nicht, dass der Hof Regeln hat?“
„Aber ... wir wollen nur Abenteuer erleben“, stotterte Pip.
Karl schüttelte seinen Kamm. „Abenteuer? Pah! Ordnung ist das Wichtigste auf dem Hof. Aber ich will mal nicht so sein. Wenn ihr schon herumschnüffelt, dann wenigstens mit einem Plan!“
„Ein Plan?“ fragte Poppy neugierig.
Karl deutete mit einem Flügel auf das Dorf Gödnitz, das man hinter den Feldern erkennen konnte. „Wenn ihr wirklich etwas erleben wollt, besucht das Dorf. Aber seid vorsichtig! Dort gibt es die schlauen Gänse vom Gödnitzer Teich, und sie sind berüchtigt dafür, Streiche zu spielen.“
Pip und Poppy machten sich mutig auf den Weg zum Teich am Rand des Dorfes. Dort war das Wasser still und spiegelte die Sterne. Doch kaum waren sie angekommen, wurden sie von einem plötzlichen „Schnatter! Schnatter!“ erschreckt.
Aus den Büschen kamen drei grosse, weisse Gänse, die sie neugierig musterten. „Na, wen haben wir denn hier? Kleine Küken auf grosser Tour?“ fragte die grösste Gans, die sich als Gerda vorstellte.
„Wir erkunden Gödnitz! Könnt ihr uns etwas Spannendes zeigen?“ fragte Poppy.
„Natürlich“, schnatterte Gerda und warf den anderen Gänsen einen schelmischen Blick zu. „Wenn ihr mutig genug seid, über die alte Steinbrücke zu gehen, werdet ihr eine besondere Überraschung finden.“
Pip und Poppy waren begeistert und liefen in Richtung der Brücke. Doch sobald sie auf die Steine traten, begann die Brücke zu wackeln. „Oh nein!“ piepste Pip.
Da hörten sie das Lachen der Gänse, die sich im Gebüsch versteckten. „Ein bisschen Nervenkitzel gehört dazu!“ rief Gerda fröhlich.
Am anderen Ende der Brücke entdeckten Pip und Poppy eine kleine Kapelle mit einem alten Glockenturm. Die Glocke war riesig und leuchtete silbern im Mondlicht.
„Was ist das für eine Glocke?“ fragte Pip.
Eine leise Stimme erklang: „Das ist die Glocke von Gödnitz. Man sagt, wer sie einmal berührt, dem wird ein Wunsch erfüllt.“ Es war Gustav, die alte Eule, die in der Kapelle lebte.
„Ein Wunsch?“ rief Poppy begeistert. „Das ist ja wunderbar!“
„Aber seid gewarnt“, sagte Gustav weise. „Wünsche können mächtig sein. Überlegt gut, was ihr euch wünscht.“
Poppy dachte einen Moment nach. „Ich wünsche mir, dass wir alle Tiere auf dem Hof und im Dorf glücklich machen können!“
Die Glocke begann leise zu vibrieren, und ein sanftes Läuten erfüllte die Luft. Gustav lächelte. „Das war ein weiser Wunsch, kleines Küken.“
Am nächsten Morgen kehrten Pip und Poppy zum Bauernhof zurück, doch etwas war anders. Alle Tiere waren fröhlicher, als ob sie von Poppys Wunsch berührt worden wären. Sogar König Karl war ungewöhnlich milde gestimmt.
„Heute ist das Frühlingsfest im Dorf Gödnitz“, verkündete Karl. „Der Bauer hat uns eingeladen! Kommt alle mit!“
Pip und Poppy waren begeistert. Zusammen mit den anderen Tieren zogen sie ins Dorf. Dort war der Marktplatz mit bunten Lichtern geschmückt. Es gab einen Stand mit frischem Brot, süssem Honig und Obst. Die Kinder aus Gödnitz spielten und lachten, während Musiker fröhliche Melodien spielten.
Plötzlich sah Pip einen grossen Hund mit einem Tuch um den Hals, der sie freundlich anschnüffelte. „Hallo, ich bin Bruno, der Hütehund des Dorfes. Willkommen in Gödnitz!“
Poppy lachte. „Was für ein wundervoller Ort!“
Während des Festes kamen die Tiere und Dorfbewohner zusammen, um Geschichten zu erzählen. Pip und Poppy erzählten von ihren Abenteuern mit Tom, dem Traktor, und den schlauen Gänsen. Bruno erzählte von seinen Aufgaben, die Schafe zu hüten, und Gustav sprach über die Legenden der Glocke.
Am Ende des Abends, als die Sterne am Himmel funkelten, kam der Bauer zu Pip und Poppy. „Ihr seid wirklich mutige kleine Küken. Euer Wunsch, Glück zu bringen, hat diesen Hof und das Dorf zu einem besseren Ort gemacht.“
Die beiden kuschelten sich zufrieden aneinander. Sie wussten, dass sie noch viele Abenteuer vor sich hatten – aber sie gehörten zu Gödnitz, und das war das Beste von allem.
Ende.