Eule Elli und der vergessene Schlafzauber - eine tierisch gute Geschichte
- Michael Mücke

- 24. Nov.
- 4 Min. Lesezeit

Es war einmal eine kleine Eule namens Elli, die in einem hohen Baum tief im Wald wohnte. Elli war eine ganz besondere Eule. Sie hatte ein weiches, braunes Federkleid, das in der Dunkelheit fast wie ein sanfter Schatten wirkte.
Ihre Augen waren groß und leuchteten im Mondlicht wie zwei kleine Sterne. Was sie jedoch von allen anderen Eulen unterschied, war ihr geheimnisvolles Talent: Sie kannte den Schlafzauber.
Jede Nacht, wenn der Mond hoch am Himmel stand und der Wald in tiefes, ruhiges Dunkel gehüllt war, flog Elli durch die Bäume und murmelte leise ihren Zauberspruch. „Schlummer, süßer Schlaf, bring Ruhe und Frieden.“
Die Tiere des Waldes, die den Zauber hörten, fielen in einen tiefen, erholsamen Schlaf, der sie durch die ganze Nacht begleitete. Die Vögel in ihren Nestern, die Füchse in ihren Bauten und sogar die kleinen Kaninchen, die in den Höhlen unter den Bäumen schliefen, waren dank Elli immer voller Energie, wenn der neue Tag begann.
Doch eines Abends, als Elli sich auf ihren nächtlichen Flug vorbereitete, passierte etwas Seltsames. Sie saß auf ihrem Ast und blickte hinauf zum Mond, als sie den Zauber singen wollte.
Doch statt des vertrauten Gefühls, das sie normalerweise durchströmte, spürte sie nur eine leere Stelle in ihrem Herzen. Der Zauberspruch war verschwunden. Sie konnte ihn nicht finden, er war einfach nicht da.
„Oh nein! Wo ist der Zauber?“ murmelte Elli entsetzt und versuchte, sich an jedes Wort des Spruchs zu erinnern. Sie schloss die Augen und dachte nach. Vielleicht war es zu viel der letzten Tage gewesen – die Flüge, die vielen Besuche bei den Tieren und das ständige Sprechen des Zaubers. Hatte sie vielleicht etwas vergessen?
Elli flog in die Dunkelheit hinaus, ihre Flügel schnitten durch die kalte Nachtluft. Sie flog von Baum zu Baum, immer wieder den Zauberspruch murmelnd, aber es half nichts.
Der Zauber blieb verschwunden. Sie fühlte sich traurig und ein wenig hilflos. Was sollte sie tun? Ohne den Schlafzauber konnten die Tiere im Wald nicht ruhig schlafen, und ohne die Tiere, die in Frieden schliefen, war die Nacht nicht so schön.
Plötzlich fiel ihr ein, dass es im Wald einen alten, weisen Baum gab, der schon viele Jahre auf dem Buckel hatte. Der Eichenbaum im Zentrum des Waldes war sehr alt und wusste fast alles, was im Wald geschah. Vielleicht konnte er ihr helfen. Elli flog schneller, immer tiefer in den Wald hinein, bis sie vor dem gewaltigen Baum landete.
„Lieber Eichenbaum,“ begann Elli mit zitternder Stimme, „ich habe meinen Schlafzauber verloren. Ich kann ihn nicht mehr finden. Kannst du mir helfen?“
Die Äste des Baumes bewegten sich, obwohl kein Wind wehte. Dann erklang eine tiefe, sanfte Stimme, die fast wie das Rauschen der Blätter klang.
„Kleine Eule, der Zauber ist nicht verloren. Manchmal ist er nur ein wenig verborgen, genau wie ein geheimes Versteck. Du musst in dein Herz hören, um ihn wiederzufinden.“
Elli nickte und dachte nach. Natürlich! Der Zauber war immer in ihr gewesen, in ihrem Herzen. Aber vielleicht hatte sie so sehr auf den Zauber selbst vertraut, dass sie vergessen hatte, dass es nicht nur der Spruch war, der die Tiere in den Schlaf versetzte. Es war die Liebe und Fürsorge, die sie in ihrem Herzen trug, die die wahre Magie ausmachten. Aber wo hatte sie das Gefühl der Magie nur hingepackt?
„Wie kann ich ihn wiederfinden?“ fragte Elli den Eichenbaum.
„Höre gut auf dein Herz und fliege weiter. Der Zauber ist nicht weit. Er wartet auf dich.“ antwortete der Baum ruhig.
Elli bedankte sich bei dem Eichenbaum und flog in die Nacht hinaus. Ihre Flügel trugen sie durch die Dunkelheit, aber ihr Kopf war voll von Fragen. Sie landete bei einem schlafenden Fuchs, der sich in seinem Bau gemütlich eingerollt hatte. „Fuchs, du schläfst doch sicher auch bald?“ fragte Elli leise.
Der Fuchs öffnete langsam die Augen und blinzelte in das Dunkel. „Ja, Eule, aber ich habe nie wirklich darüber nachgedacht, wie der Schlaf kommt. Er ist einfach da.“
Elli lächelte leicht. „Aber weißt du, Fuchs, es gibt einen Zauber, der den Schlaf sanft bringt, und ich habe ihn vergessen. Vielleicht hilft es, wenn wir einfach darauf vertrauen, dass der Schlaf uns findet.“
Der Fuchs nickte verständnisvoll und rollte sich wieder in seinem Bau zusammen, bereit, in einen tiefen Schlaf zu fallen. Elli flog weiter und besuchte ein kleines Kaninchen, das in einer Höhle unter einem Baum wohnte.
Das Kaninchen sah sie mit großen Augen an. „Eule, ich kann den Schlafzauber gar nicht hören. Aber ich glaube, er ist in mir, nicht wahr?“ fragte es neugierig.
Elli nickte, doch der Zauber blieb weiterhin unsichtbar. Sie flog durch den ganzen Wald und besuchte all ihre Freunde: die Eulen, die Rehe, die Igel und die Hasen. Jeder hatte seine eigene Art, den Schlaf zu erleben, aber keiner wusste genau, wie der Zauber wirklich funktionierte.
Schließlich landete Elli auf ihrem Lieblingsast, hoch oben im Baum, der den ganzen Wald überblickte. Der Mond schien so hell, dass der Wald fast wie in silbernes Licht gehüllt war. „Vielleicht habe ich alles falsch gemacht,“ dachte Elli und schloss die Augen. „Vielleicht muss ich nur wieder daran glauben.“
Mit einem tiefen Atemzug spürte sie plötzlich, wie der Zauber in ihr aufstieg, wie eine warme Welle. Sie öffnete die Augen und wusste, dass sie bereit war. „Schlummer, süßer Schlaf, bring Ruhe und Frieden.“
Ihre Stimme war ruhig und voller Vertrauen. Und in diesem Moment fühlte sie, wie der Zauber sich wie ein sanfter Hauch über den Wald legte.
Die Tiere, die noch wach waren, fielen in einen tiefen, friedlichen Schlaf. Der Wald atmete auf, und der Mond strahlte noch heller, als er je zuvor getan hatte.
Elli saß da, auf ihrem Ast, und sah zu, wie die Nacht still und ruhig weiterging.
Der Zauber war wieder da, wo er hingehörte: in ihrem Herzen. Sie wusste nun, dass es nicht nur der Zauberspruch war, der die Tiere zum Schlaf führte, sondern auch der Glaube und die Liebe, die sie in sich trug.
„Gute Nacht, lieber Wald,“ flüsterte sie leise. „Schlafe wohl und träume süß.“ Und der Wald, der von dem Zauber erfüllt war, antwortete mit einer Stille, die nur in den tiefsten Nächten zu finden ist.




