top of page

Der sprechende Bär und der Winterwald - eine verträumte Gute-Nacht-Geschichte

  • Autorenbild: Michael Mücke
    Michael Mücke
  • 1. Sept.
  • 4 Min. Lesezeit
Borin der Bär stapft mit dem Mädchen auf dem Rücken durch den Winterwald

Der Winterwald lag friedlich und geheimnisvoll unter einer weichen Decke aus glitzerndem Schnee. Jeder Baum trug ein Kleid aus frostigen Kristallen, und die Zweige sahen aus wie zarte Spitzen.


Wenn der Wind leise durch die Kronen strich, klang es wie ein Flüstern, als ob der Wald selbst Geschichten erzählen wollte. Zwischen den schneebedeckten Wurzeln hatten die Tiere kleine Höhlen gegraben, und in der Ferne rief eine Eule, die ihr Nachtlied sang.


In dieser winterlichen Stille lebte Borin, der sprechende Bär. Er war groß und kräftig, doch sein Herz war sanft wie das einer Maus. Sein Fell glänzte goldenbraun im Mondlicht, und seine Stimme war tief und warm wie ein knisterndes Feuer.


Schon seit vielen Wintern wanderte er durch den Wald, half Tieren in Not und hörte sich ihre Sorgen an. Viele nannten ihn heimlich den „Hüter des Winterwaldes“, weil er stets zur rechten Zeit da war.


An einem besonders klaren Abend, als die Sterne funkelten wie tausend kleine Lichter, hörte Borin ein leises Schluchzen. Das Geräusch war so zart, dass es beinahe mit dem Knirschen des Schnees verwechselt werden konnte.


Doch Borins Ohren waren geübt, und er folgte dem Klang. Schließlich entdeckte er ein kleines Mädchen auf einem Baumstumpf, dessen roter Schal im Wind flatterte.


Behutsam stapfte Borin näher und fragte mit sanfter Stimme: „Warum bist du so traurig, kleines Kind?“


Das Mädchen zuckte erschrocken zusammen, doch als sie in Borins sanfte Augen blickte, spürte sie, dass sie ihm vertrauen konnte.


„Ich habe mich verlaufen, und der Wald ist so groß und dunkel. Ich finde den Weg nach Hause nicht mehr“, flüsterte sie und wischte sich die Tränen von den Wangen.


Borin setzte sich vorsichtig neben sie, sodass der Schnee unter ihm ein leises Poltern machte. „Hab keine Angst. Ich kenne den Wald besser als jeder andere. Ich bringe dich sicher nach Hause“, sagte er beruhigend.


Das Mädchen nickte, und gemeinsam machten sie sich auf den Weg. Um sie herum funkelten die Schneeflocken im Mondlicht, als ob kleine Sterne vom Himmel gefallen wären. Während sie gingen, erzählte Borin Geschichten von den Tieren, die im Wald lebten.


Er sprach von der alten Eule Edda, die schon so viele Winter gesehen hatte, dass sie alle Lieder des Waldes auswendig kannte. Er berichtete von Hoppel, dem Hasen, der immer neue Verstecke suchte und niemals stillsitzen konnte.


Das Mädchen hörte aufmerksam zu und vergaß langsam ihre Angst. „Du bist der freundlichste Bär, den ich je getroffen habe“, sagte sie schließlich.


Borin lächelte und antwortete: „Vielleicht, weil du der erste Mensch bist, mit dem ich je gesprochen habe.“


Doch der Weg nach Hause war nicht so einfach. Ein kleiner Bach versperrte ihnen den Pfad, sein Wasser war teilweise gefroren, doch die Steine waren glatt und rutschig.


Borin überlegte kurz und sprach: „Steig auf meinen Rücken, dann bringe ich dich sicher hinüber.“


Zögernd kletterte das Mädchen auf seinen Rücken, und Borin ging langsam durch das eiskalte Wasser. Der Bach gluckste, und das Eis knackte, doch Borins Schritte waren sicher. Als sie das andere Ufer erreichten, lachte das Mädchen erleichtert.


„Du bist wirklich stark!“ rief sie begeistert. Borin schmunzelte und meinte: „Stark sein hilft nur, wenn man auch vorsichtig ist.“


Sie wanderten weiter durch den Wald. Unterwegs trafen sie auf ein Rudel Rehe, die neugierig aus dem Dickicht hervorschauten. Ihre Atemwolken stiegen in die kalte Nachtluft, und ihre Augen glänzten wie schwarze Perlen.


Borin neigte den Kopf und rief: „Gute Nacht, ihr sanften Freunde. Wir sind nur auf der Durchreise.“ Die Rehe schnaubten leise, als würden sie den beiden viel Glück wünschen.


Nach einer Weile wurde das Mädchen müde. Ihre Schritte wurden langsamer, und sie gähnte. Borin bemerkte es sofort und sagte: „Ruh dich auf meinem Rücken aus. Ich trage dich ein Stück.“ Dankbar legte sie ihren Kopf an Borins weiches Fell und schlief beinahe sofort ein.


Borin stapfte weiter, während der Wald um ihn herum still und friedlich wirkte. Der Mond war inzwischen höher gestiegen, und das Licht fiel wie Silber durch die kahlen Äste.


Der Bär spürte die Verantwortung schwer auf seinen Schultern, doch in seinem Herzen fühlte er Freude, denn er wusste, dass er jemandem half.


Nach einer langen Wanderung erreichten sie endlich den Rand des Waldes. In der Ferne leuchteten warme Lichter aus Fenstern, und Rauch stieg aus einem Schornstein auf. Borin blieb stehen und sprach leise: „Wach auf, kleines Kind. Dort vorn ist dein Zuhause.“


Das Mädchen rieb sich die Augen, sah die vertrauten Lichter und rief voller Freude: „Da ist mein Haus! Mama und Papa warten bestimmt schon auf mich.“ Sie sprang von Borins Rücken, doch bevor sie losrannte, umarmte sie ihn fest.


„Danke, lieber Borin. Ich werde dich nie vergessen.“


Borin lächelte und sagte sanft: „Denk daran, dass du im Winterwald immer einen Freund hast. Wenn du jemals wieder traurig oder ängstlich bist, dann ruf einfach meinen Namen, und ich werde dich hören.“


Das Mädchen winkte noch einmal, bevor sie durch den Schnee zu ihrem Haus lief. Borin sah ihr nach, bis sie sicher in den Armen ihrer Eltern lag. Erst dann wandte er sich um und stapfte zurück in den Wald.


In dieser Nacht schlief der sprechende Bär besonders zufrieden in seiner Höhle ein. Er wusste, dass er nicht nur einem Kind geholfen hatte, sondern auch eine besondere Freundschaft gefunden hatte. Und der Winterwald selbst wirkte ein wenig heller und wärmer, als würde er das Geheimnis von Borin und dem kleinen Mädchen hüten.


Wenn in den Nächten der Wind durch die Bäume rauschte, klang es von da an fast so, als flüsterten die Zweige sanft: „Freundschaft macht den Winter hell.“

Schlummerpiraten Newsletter

Herzlich Willkommen und Danke!

Keine Sorge, ich bombardieren dich nicht mit E-Mails! Der Newsletter kommt nur einmal pro Woche und enthält eine liebevolle Zusammenfassung der neuesten Gute-Nacht-Geschichten.
Bei der Anmeldung erhältst du 100 Ausmalseiten und die erste Geschichte des Buches "Ich bin wertvoll", als kleines Dankeschön.

Alle Anfragen an: schlummerpiraten@gmail.com

© 2025 by Michael

bottom of page