Der Igel, der immer zu schnell rannte - eine bunte Geschichte zum Vorlesen
- Michael Mücke

- 1. Okt.
- 3 Min. Lesezeit

Es war einmal ein kleiner Igel, der lebte in einem großen, freundlichen Wald voller Blumen, Bäume, Tiere und geheimnisvoller Geräusche. Dieser Igel war besonders, denn er konnte schneller rennen als jeder andere im ganzen Wald.
Wenn er durch das Laub flitzte, hörte man nur ein Rascheln, und schon war er verschwunden. Die Tiere nannten ihn deshalb einfach Flitz, und er mochte diesen Namen sehr.
Flitz liebte es, seine Geschwindigkeit zu zeigen. Morgens, wenn die ersten Sonnenstrahlen durch die Äste schimmerten, stand er auf und dachte sofort: „Heute muss ich wieder schneller sein als gestern!“
Dann lief er los, den Hügel hinauf, über Wiesen voller Gänseblümchen und durch die kleinen Wege, die zwischen Farnen und Pilzen hindurchführten. Er rannte sogar so schnell, dass die Vögel manchmal lachend riefen: „Pass auf, Flitz, du fliegst uns bald davon!“
Doch obwohl er immer lachte und vor Freude sprühte, bemerkten die anderen Tiere, dass Flitz kaum Zeit für sie hatte. Wenn die Schildkröte ihn einlud, mit ihr am Teich zu sitzen, sagte er nur: „Keine Zeit, ich muss weiterlaufen!“
Wenn das Reh ihn fragte, ob er beim Spielen mitmachen wolle, rief er im Vorbeirennen: „Vielleicht später, ich übe gerade!“ Selbst der Hase, der eigentlich selbst sehr schnell war, konnte kaum mit ihm mithalten und schüttelte oft den Kopf.
Eines warmen Frühlingstages rannte Flitz wieder einmal den Hügel hinunter. Er spürte die Sonne im Rücken, die Vögel zwitscherten über ihm, und er dachte: „Heute bin ich so schnell wie der Wind!“
Doch plötzlich passierte es: Seine Pfote blieb an einer Wurzel hängen, er überschlug sich mehrmals, rollte durchs Gras und blieb keuchend liegen. Sein Herz pochte, und er fühlte sich schwach.
Ein kleines Eichhörnchen kam erschrocken angerannt und rief: „Flitz, bist du verletzt? Soll ich Hilfe holen?“
Bald darauf kamen auch die Schildkröte, das Reh und der Hase dazu, und sogar der alte Uhu flatterte von seinem Ast herab. Alle sahen besorgt auf den kleinen Igel, der müde im Gras lag.
Die Schildkröte sprach mit sanfter Stimme: „Lieber Flitz, du bist immer so schnell unterwegs. Aber manchmal ist es besser, langsam zu gehen und die Welt um dich herum zu genießen.“
Flitz wollte erst widersprechen, doch dann sah er die besorgten Gesichter seiner Freunde. Zum ersten Mal fühlte er, dass er wirklich erschöpft war. Ganz leise murmelte er: „Vielleicht habt ihr recht. Ich bin müde vom Rennen. Vielleicht habe ich zu viel verpasst.“
Die Tiere setzten sich zu ihm ins Gras. Das Reh erzählte von den Blumen, die an diesem Tag besonders bunt blühten, und der Hase berichtete vom Spiel, das sie gespielt hatten, während Flitz nur vorbeigerannt war.
Der Uhu fügte hinzu: „Es gibt eine Zeit zum Rennen und eine Zeit zum Staunen. Wer beides kann, ist wirklich klug.“
Von diesem Tag an veränderte sich Flitz langsam. Er rannte immer noch gerne, aber er hörte nun öfter auf, um den Duft der Blumen zu riechen oder den Gesang der Vögel zu lauschen.
Er half dem Eichhörnchen, Nüsse zu sammeln, und er ging mit der Schildkröte zum Teich, wo sie zusammen Libellen beobachteten. Manchmal kletterte er sogar mit dem Hasen auf kleine Hügel, um gemeinsam in die Ferne zu schauen.
Besonders schön fand Flitz die Abende. Früher war er dann schon völlig erschöpft ins Nest gefallen, doch nun blieb er oft noch bei seinen Freunden sitzen. Zusammen sahen sie zu, wie die Sonne langsam unterging und der Himmel sich in Rosa und Gold färbte.
Dann sagte Flitz lächelnd: „Ich habe heute mehr gesehen als in all den Tagen, an denen ich nur gerannt bin.“
So lernte der kleine Igel, dass man nicht immer der Schnellste sein muss, um glücklich zu sein. Er entdeckte, dass man viele schöne Dinge nur bemerkt, wenn man innehält. Und er merkte, dass Freunde das größte Geschenk sind, weil sie einem zeigen, wie schön die Welt sein kann, wenn man sie gemeinsam erlebt.
Wenn die Sterne am Himmel erschienen, kuschelte sich Flitz zufrieden in sein kleines Moosnest. Mit einem Lächeln flüsterte er: „Morgen renne ich wieder, aber heute habe ich genug gesehen.“
Dann schloss er die Augen, und der ganze Wald wurde still und friedlich, während der kleine Igel glücklich einschlief.




