Der Elefant, der das Glück fand - Gute-Nacht-Geschichte
- Michael Mücke
- 28. Apr.
- 4 Min. Lesezeit

Es war einmal, tief im Herzen eines großen, geheimnisvollen Dschungels, ein kleiner Elefant namens Kavi.
Kavi war ein ganz besonderer Elefant. Sein graues Fell war so weich wie Baumwolle, seine Augen schimmerten in einem sanften Braun, und seine Ohren waren so groß, dass sie im Wind flatterten wie Segel. Alle Tiere mochten Kavi, denn er war freundlich, hilfsbereit und hatte immer ein gutes Herz.
Doch trotz all der schönen Dinge um ihn herum, den bunten Blumen, den glitzernden Bächen und den lustigen Affen, die durch die Bäume tollten fühlte Kavi oft eine seltsame Leere in seiner Brust. Er konnte nicht genau sagen, warum, aber irgendetwas fehlte ihm.
„Warum bin ich nicht so glücklich wie die anderen Tiere?“, murmelte Kavi eines Abends, als der Himmel orange und rosa leuchtete. „Vielleicht fehlt mir etwas... etwas, das ich erst noch finden muss.“
Am nächsten Morgen, als die Sonne wie ein goldener Ball über den Horizont kletterte und der Dschungel in warmes Licht tauchte, fasste Kavi einen Entschluss.
„Ich werde losziehen und das Glück suchen!“, rief er mutig und stampfte entschlossen mit seinen kleinen Füßen auf den Boden.
Er verabschiedete sich von seinen Freunden, dem Papagei Tico, dem frechen Affen Momo und der freundlichen Antilope Luma und machte sich auf den Weg, tief hinein in den Dschungel, dorthin, wo er noch nie gewesen war.
Zuerst traf Kavi auf einen bunten Schmetterling, der durch die Luft tanzte.
„Hallo, Schmetterling!“, rief Kavi. „Kannst du mir sagen, wo ich das Glück finden kann?“
Der Schmetterling kicherte leise und setzte sich auf Kavis Rüssel. „Manchmal“, sagte er mit sanfter Stimme, „liegt das Glück in der Leichtigkeit des Fliegens, im Tanz des Windes. Vielleicht musst du lernen, leicht zu sein.“
Kavi bedankte sich und stapfte weiter, obwohl er nicht wusste, wie ein schwerer Elefant jemals leicht wie ein Schmetterling sein sollte.
Später kam er zu einem mächtigen Wasserfall, dessen Wasser in funkelnden Tropfen herabstürzte. Ein alter Krokodilopa lag am Ufer und döste in der Sonne.
„Großvater Krokodil!“, rief Kavi. „Weißt du, wo ich das Glück finden kann?“
Das Krokodil öffnete ein Auge, sah Kavi an und brummte: „Glück? Das liegt vielleicht im Ruhen, im Genießen der Sonne und dem Fließen der Zeit. Vielleicht suchst du zu sehr.“
Wieder bedankte sich Kavi, aber er war sich sicher, dass er noch weiter gehen musste. Ruhen konnte er später, jetzt musste er doch erst das Glück finden!
Tage vergingen. Der Dschungel wurde dichter und dunkler. Kavi stapfte durch hohe Gräser, kletterte kleine Hügel hinauf, watete durch Bäche und hörte nachts die Rufe fremder Tiere.
Manchmal fühlte er sich mutig, manchmal auch ein wenig ängstlich. Besonders in den Nächten, wenn er alleine unter dem weiten Sternenhimmel lag, fragte er sich:
„Was, wenn ich das Glück niemals finde?“
Sein Herz wurde schwer, und seine Schritte langsamer. Er vermisste seine Freunde, das weiche Gras unter seinem Lieblingsbaum und das leise Summen der Bienen.
Gerade als Kavi fast aufgeben wollte, traf er auf eine kleine, alte Schildkröte, die gemächlich auf einem Stein saß und in den Himmel blickte. Ihr Panzer war von der Sonne warm und glänzte in den Farben des Regenbogens.
„Hallo, kleine Schildkröte“, sagte Kavi traurig. „Ich suche schon so lange nach dem Glück, aber ich finde es einfach nicht. Weißt du vielleicht, wo ich es finden kann?“
Die Schildkröte lächelte weise und nickte langsam.
„Komm, setz dich zu mir, kleiner Elefant. Ich werde dir etwas erzählen.“
„Vor vielen Jahren“, begann die Schildkröte mit ruhiger Stimme, „gab es einen Elefanten, der genauso war wie du. Er dachte, Glück wäre etwas, das man irgendwo draußen finden könnte. Also reiste er über Berge, durch Flüsse und endlose Ebenen. Er suchte in den höchsten Bäumen, in den tiefsten Seen und sogar bei den Sternen.“
„Und hat er es gefunden?“, fragte Kavi gespannt.
Die Schildkröte lächelte geheimnisvoll.
„Er fand viele Dinge: schöne Steine, funkelnde Flüsse, köstliche Früchte. Aber das Glück – das fand er nicht. Eines Tages, müde und traurig, setzte er sich auf eine kleine Lichtung, genau wie diese hier. Und da hörte er plötzlich etwas: das leise Zwitschern der Vögel, das Knistern der Blätter im Wind, das Lächeln eines kleinen Eichhörnchens.“
Kavi lauschte gespannt.
„Und da wurde ihm klar“, fuhr die Schildkröte fort, „dass das Glück nicht in den großen Abenteuern oder fernen Orten zu finden ist. Das wahre Glück war immer da – in den kleinen Dingen, im Hier und Jetzt. In der Freundschaft. Im Lachen. In einem Sonnenstrahl auf der Haut.“
Kavi saß lange still neben der Schildkröte. Die Sonne ging langsam unter, und der Himmel färbte sich golden. Eine warme Brise wehte durch das hohe Gras.
Zum ersten Mal seit Langem spürte Kavi ein Kribbeln in seinem Bauch. Es war ein gutes Gefühl, ein warmes, leuchtendes Gefühl.
„Vielleicht ist das Glück ja gar nicht weit weg... Vielleicht war es die ganze Zeit bei mir“, flüsterte er.
Er bedankte sich von Herzen bei der Schildkröte und machte sich auf den Heimweg.
Und diesmal sah Kavi die Welt mit anderen Augen: Er sah das Glitzern der Tautropfen auf den Blättern, hörte das fröhliche Zwitschern der Vögel und spürte den weichen Boden unter seinen Füßen.
Als er endlich wieder bei seinem Lieblingsbaum ankam, stürmten Tico, Momo und Luma auf ihn zu.
„Kavi!“, riefen sie. „Wir haben dich so vermisst!“
Kavi lachte, ein richtiges, lautes Elefantenlachen, das durch den ganzen Dschungel hallte.
„Ich habe das Glück gefunden!“, rief er. „Es war die ganze Zeit hier – bei euch, bei mir, in jedem Sonnenstrahl und jedem Lächeln!“
Und in dieser Nacht, als der Mond über dem Dschungel stand und die Sterne wie kleine Laternen leuchteten, schlief Kavi friedlich unter seinem Baum ein, mit einem Herzen, das so leicht war wie ein Schmetterling und so strahlend wie die Sonne.