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Das Geheimnis der alten Bibliothek

  • Autorenbild: Michael Mücke
    Michael Mücke
  • 11. Apr.
  • 5 Min. Lesezeit

Leano steht in der Bibliothek

Es war einmal ein kleines, abgelegenes Dorf namens Wisperhain, das zwischen sanften Hügeln und geheimnisvollen Wäldern lag. In diesem Dorf lebte ein abenteuerlustiger Junge namens Leano.


Leano war sechs Jahre alt, hatte helle goldene Locken, die immer ein wenig wild aussahen, und ein großes Herz, das immer nach neuen Rätseln und Geheimnissen suchte.


Leano war oft draußen unterwegs, erkundete den Wald, baute geheimen Staudämme im Bach und versteckte sich in den hohen Gräsern, um die Welt zu beobachten. Doch es gab ein Geheimnis, das ihm seit langer Zeit keine Ruhe ließ – die alte Bibliothek auf dem Nebelhügel. Niemand im Dorf sprach viel darüber, aber immer, wenn das Thema zur Sprache kam, schauten die Erwachsenen einander mit ernsten Blicken an und murmelten leise: „Niemand darf bei Nacht dahin gehen.“


Eines Abends, als die letzten Sonnenstrahlen hinter den Hügeln verschwanden und der Himmel sich in sanften Farben verfärbte, saß Leano zusammen mit seiner Urgroßtante Agnetta am Kamin. Sie war eine der ältesten und weisesten Bewohnerinnen von Wisperhain. Ihre Haare waren silberweiß und sie trug immer eine weite blaue Robe, die fast wie ein Sternenhimmel schimmerte.


Agnetta lehnte sich zurück und sagte in einer sehr ruhigen, fast geheimnisvollen Stimme:„Du weißt, Leano, die Bibliothek auf dem Hügel birgt viele Geheimnisse. Es wird gesagt, dass sie nicht nur Bücher bewahrt, sondern auch das Wissen von verlorenen Welten und vergessenen Träumen.“


Leano blinzelte. „Das klingt spannend! Aber warum darf niemand dahin?“

Agnetta sah ihm tief in die Augen und flüsterte:„Die Bibliothek ist alt, älter als das Dorf. Sie hat ihre eigenen Regeln. Und nur wer mit reinem Herzen kommt, kann ihre Geheimnisse entdecken. Aber sei vorsichtig, mein Junge. Manche Geschichten sind zu mächtig, um sie zu kennen.“


In der Nacht, als der Mond sich wie eine silberne Münze am Himmel erhob und der Wind sanft durch die Bäume wehte, konnte Leano das Geheimnis der Bibliothek nicht länger in seinem Herzen festhalten. Er schnappte sich seine Taschenlampe, einen Apfel für den Fall, dass er hungrig wurde, und das treueste Kuscheltier, Bollo, ein Bär mit einem leicht schiefen Ohr und einem abgenutzten T-Shirt.


Der Weg führte durch den dichten Wald und den geheimen Garten am Rand des Dorfes. Der Nebelhügel war nicht weit, aber der Wald fühlte sich in dieser Nacht besonders dicht an. Die Bäume standen dicht an dicht und die Luft war von einer seltsamen Magie durchzogen.


Als Leano schließlich die alte Bibliothek erreichte, sah sie noch beeindruckender aus, als er sich erinnert hatte. Das Gebäude war aus schwarzem Stein und die Fenster waren hoch und rund, wie die Augen eines schlafenden Riesen. Über dem Eingang prangte in verblassten goldenen Buchstaben die Aufschrift:„Worte bewahren Welten.“


Leano spürte ein Kribbeln in seinen Fingern, als er die schwere Holztür berührte. Mit einem lauten „KRRRRRRK“ öffnete sie sich. Ein warmer Duft nach altem Papier und etwas, das wie verzauberte Erde roch, strömte ihm entgegen. Drinnen war es ruhig und geheimnisvoll. Die Regale waren so hoch, dass Leano sich vorstellen konnte, dass sie bis zu den Sternen reichten.


„Hallo?“ flüsterte er vorsichtig. „Ist hier jemand?“


Plötzlich hörte er ein leises, fast unmerkliches „Psssst!“ und dann ein leises Scharren. Zu seiner großen Überraschung sprang eine Katze aus den Schatten. Aber nicht irgendeine Katze – sie hatte tiefviolettes Fell, große bernsteinfarbene Augen und trug eine kleine, goldene Brille. Sie blickte Leano aufmerksam an, als ob sie genau wusste, warum er hier war.


„Willkommen, junger Forscher,“ sagte die Katze mit einer überraschend tiefen Stimme. „Ich bin Sir Pendelstrich, der Hüter der Bibliothek und Bewahrer der unzähligen Geschichten.“


Leano starrte. „Du kannst sprechen?“


Die Katze schnurrte und nickte. „Natürlich. Alles, was in dieser Bibliothek lebt, kann sprechen, wenn es etwas zu sagen hat.“


Leano war fasziniert. „Wie funktioniert das hier? Was ist das für ein Ort?“

„Oh, vieles. Es ist ein Ort, an dem Geschichten geboren werden und an dem vergessene Erlebnisse aufbewahrt werden. Wenn du hier bist, Leano, dann ist es kein Zufall. Du hast die Schwelle überschritten, und jetzt bist du bereit, mehr zu erfahren.“


Mit einem Schwung der Pfote führte Sir Pendelstrich Leano durch die unzähligen Regale. „Diese Bibliothek ist nicht nur ein Ort, an dem man Bücher liest. Sie ist ein Ort, an dem man die Zeit selbst erleben kann, in die Geschichten eintauchen kann. Aber nur, wenn du den Schlüssel kennst.“


Leano fragte neugierig: „Welcher Schlüssel?“


„Der Schlüssel des Wissens,“ antwortete die Katze geheimnisvoll. „Er ist nicht aus Metall. Er ist aus dem Mut und dem reinen Herz eines Forschers.“


Sie kamen schließlich an einen Tisch, auf dem ein besonders altes und mysteriöses Buch lag. Es war groß und dicker als alle anderen Bücher. Der Einband schimmerte in einem sanften Goldton, und als Leano das Buch berührte, spürte er eine leise Vibration, als würde das Buch selbst atmen.


„Was ist das für ein Buch?“ fragte Leano ehrfürchtig.


„Das ist das Buch der unausgesprochenen Geschichten,“ sagte Sir Pendelstrich. „Es enthält die Erzählungen von Welten, die noch nicht geboren wurden, und von Abenteuern, die noch nicht passiert sind. Es öffnet sich nur für diejenigen, die bereit sind, die wahre Macht des Wissens zu verstehen.“


Leano öffnete das Buch vorsichtig. Kaum hatte er es aufgeschlagen, stiegen kleine Lichter aus den Seiten empor, die sich zu schwebenden Bildern formten. Ein Drache schlief in einem vergessenen Tal, ein riesiger Baum hielt den Himmel mit seinen Ästen, und inmitten der Bilder sah Leano ein kleines Mädchen mit leuchtend goldenen Haaren – das war er! Oder doch eine andere Version von ihm?


„Das bist du, Leano,“ sagte die Katze. „Du bist der Entdecker. Du wirst die Geschichten finden, die noch niemand kennt.“


Leano schaute staunend auf die Bilder, die sich immer weiter veränderten. Es gab so viele Welten zu entdecken! Doch langsam spürte er, dass der Tag nahte und er zurückkehren musste. Die Bilder begannen sich zu verflüchtigen, und das Buch klappte sich leise zu.


„Es ist Zeit für dich, zu gehen,“ sagte Sir Pendelstrich. „Aber denk daran, du kannst jederzeit zurückkehren. Diese Bibliothek ist immer offen für den, der mit reinem Herzen sucht.“


Leano verließ die Bibliothek, das goldene Lesezeichen, das Sir Pendelstrich ihm überreicht hatte, fest in seiner Hand. Es fühlte sich an, als wäre ein neues Abenteuer gerade erst begonnen.


Als er zu Hause ankam, war der Himmel bereits hell und der Morgen begann. Doch Leano wusste, dass er nie wieder der gleiche Junge sein würde. Er hatte das Geheimnis der alten Bibliothek entdeckt und wusste, dass er eines Tages wieder zurückkehren würde, um noch mehr Geschichten zu erleben.


Und so schlief er an diesem Morgen mit einem Lächeln ein – während die Bibliothek in der Ferne still und geheimnisvoll wartete.

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