Bellas erstes Pferderennen - eine Gute-Nacht-Geschichte mit Pferden
- Michael Mücke

- 6. Okt.
- 4 Min. Lesezeit

Bella war ein junges, wunderschön geflecktes Pferd, das auf einem kleinen Bauernhof am Rande eines grünen Tales lebte. Ihre weißen und braunen Flecken sahen aus, als hätte jemand vorsichtig mit einem Pinsel Muster auf ihr Fell gemalt.
Wenn die Sonne auf sie schien, glitzerte ihr Fell wie frisch poliert, und ihre dunklen Augen funkelten neugierig. Bella war fröhlich, verspielt und sehr klug. Sie liebte es, über die weiten Wiesen zu galoppieren, den Wind im Gesicht zu spüren und mit den Vögeln um die Wette zu rennen.
Jeden Morgen, wenn der Hahn krähte, begrüßte sie den neuen Tag mit einem fröhlichen Wiehern. Der alte Bauer Hansen, ihr Trainer und bester Freund, kam dann mit einem Eimer frischem Wasser und einer Handvoll Hafer zu ihr.
„Na, meine kleine Blitzflocke,“ sagte er dann immer, „bereit für dein Training?“ Bella stupste ihn mit der Nase an und scharrte ungeduldig mit dem Huf. Das war ihr Zeichen, dass sie loslegen wollte.
Sie übten täglich, und Herr Hansen brachte ihr bei, wie man richtig startet, gleichmäßig galoppiert und beim Endspurt noch einmal alles gibt. Er war geduldig, freundlich und verstand jedes Schnauben und Wiehern seiner Schülerin.
Manchmal, wenn sie müde war, erzählte er ihr Geschichten von großen Pferderennen vergangener Zeiten. „Eines Tages,“ sagte er immer, „wirst du selbst in so einem Rennen laufen, Bella. Und dann werden alle sehen, was für ein besonderes Pferd du bist.“
Wochen und Monate vergingen, bis eines Abends Herr Hansen freudig in den Stall kam. „Bella! Du bist eingeladen, bei deinem ersten Rennen teilzunehmen!“
Bella wieherte überrascht und stolz zugleich. Ihr Herz klopfte so laut, dass es fast die Grillen übertönte, die draußen in der Dämmerung zirpten. Sie war aufgeregt, aber auch ein bisschen ängstlich. Was, wenn sie nicht schnell genug war? Was, wenn sie stolperte oder die anderen Pferde viel besser waren?
Herr Hansen bemerkte ihre Nervosität. „Du musst keine Angst haben,“ sagte er sanft. „Du bist gut vorbereitet, und ich bin bei dir. Denk daran, es geht nicht nur ums Gewinnen. Es geht darum, dein Bestes zu geben und Spaß zu haben.“ Bella nickte, soweit Pferde eben nicken können, und fühlte sich gleich ein bisschen mutiger.
Am nächsten Morgen war die Sonne schon früh aufgegangen, und der Himmel war strahlend blau. Überall duftete es nach Heu, Blumen und Sommer. Bella wurde gestriegelt, bis ihr Fell glänzte wie Seide. Herr Hansen flocht ihr sogar ein kleines, buntes Band in die Mähne – rot, blau und gelb.
„Damit jeder sieht, dass du mein Star bist,“ sagte er lachend.
Als sie schließlich auf dem Turnierplatz ankamen, war dort schon viel los. Überall standen Zuschauer, Kinder hielten bunte Luftballons, und in der Ferne spielte eine kleine Kapelle fröhliche Musik. Bella staunte. So viele Pferde hatte sie noch nie gesehen! Es gab ein stolzes schwarzes Hengstpferd namens Donner, eine elegante Stute namens Luna und ein paar junge, flinke Ponys, die neugierig umherschauten.
Bella hörte, wie die Menschen tuschelten. „Schaut, das ist das neue Pferd vom Hansen-Hof!“ sagte jemand. „So hübsch ist es – aber kann es auch schnell laufen?“ Bella spitzte die Ohren, aber Herr Hansen legte beruhigend die Hand auf ihren Hals. „Ignoriere sie, meine Kleine,“ flüsterte er. „Zeig ihnen einfach, was du kannst.“
Dann war es so weit. Die Pferde stellten sich an der Startlinie auf. Bella fühlte das Zittern der Erde unter ihren Hufen, hörte das ungeduldige Schnauben der anderen Tiere und das leise Murmeln der Zuschauer. Der Wind spielte mit ihrer Mähne, und in der Ferne krähte ein Hahn – als wollte er ihr Glück wünschen.
„Auf die Plätze!“ rief der Sprecher laut. Bellas Muskeln spannten sich an. „Fertig... los!“
Ein lauter Knall, und alle Pferde stürmten los. Staub wirbelte auf, Hufe klapperten, und die Zuschauer jubelten begeistert. Bella rannte, so schnell sie konnte. Der Wind blies ihr ins Gesicht, aber sie spürte nichts außer Freude. Endlich durfte sie zeigen, was in ihr steckte.
Zuerst war sie hinten, und für einen Moment zweifelte sie. Doch dann erinnerte sie sich an Herrn Hansens Worte: „Bleib ruhig und finde deinen Rhythmus.“
Also konzentrierte sie sich auf ihren Atem, spürte den gleichmäßigen Takt ihrer Hufe und rannte weiter. Bald hatte sie das erste Pony überholt, dann das zweite. Die Zuschauer klatschten, und Bella hörte ein Kind rufen: „Los, Bella! Du schaffst das!“
Das gab ihr Kraft. Sie wurde schneller und schneller. Der Wind rauschte, der Boden bebte, und plötzlich war nur noch das schwarze Pferd Donner vor ihr. Bella fühlte, wie in ihr ein Feuer entbrannte.
Sie zog alle Kraft aus ihrem Herzen und aus jeder Erinnerung an ihre langen Trainingsstunden. Mit einem letzten, kraftvollen Sprung holte sie auf – und genau in dem Moment, als sie über die Ziellinie schoss, war sie gleichauf mit Donner.
Es war so still, dass man eine Fliege hätte summen hören können. Dann kam die Ansage: „Gewonnen – Bella vom Hansen-Hof!“
Ein Jubel brach los, wie Bella ihn noch nie gehört hatte. Herr Hansen lief lachend zu ihr, legte seine Arme um ihren Hals und sagte: „Ich wusste es, meine Blitzflocke. Ich wusste, dass du es schaffen würdest!“ Bella schnaubte stolz, und ihr Herz klopfte vor Freude.
Am Abend, zurück im Stall, bekam sie frisches Heu, ein warmes Tuch und viele Streicheleinheiten. Die Sonne war gerade untergegangen, und der Himmel leuchtete in den schönsten Farben. „Heute war dein Tag, Bella,“ flüsterte Herr Hansen. „Und morgen beginnt dein neues Abenteuer.“
Bella schloss die Augen, zufrieden und müde. Sie dachte an den Jubel, an den Wind und an das Gefühl, frei zu sein. Dann driftete sie langsam in einen tiefen, friedlichen Schlaf, während draußen die Sterne funkelten und die Welt leise wurde. Und in ihren Träumen rannte sie wieder – über Wiesen, durch Wind und Sonne, fröhlich, stark und frei, so wie nur Bella es konnte.




