Wie der Igel den Sommer fand - Gute-Nacht-Geschichte zum Vorlesen
- Michael Mücke
- 10. Juni
- 4 Min. Lesezeit

Es war einmal ein kleiner Igel namens Piko, der in einem stillen, grünen Wald lebte. Sein Zuhause war eine gemütliche Höhle unter den knorrigen Wurzeln einer alten Buche.
Die Höhle war weich ausgepolstert mit Laub, Moos und ein paar vergessenen Federn, die der Wind hereingetragen hatte. Jeden Abend rollte sich Piko dort ein und lauschte dem leisen Rascheln der Nacht.
Doch in letzter Zeit lag Piko oft wach. Obwohl der Frühling schon fast vorbei war, fühlte sich die Welt noch immer kühl und grau an. Die Sonne zeigte sich nur kurz, die Blumen blühten zögerlich, und der Wind war manchmal noch kalt wie der Atem des Winters.
Piko seufzte oft leise in seinem Nest. Er hatte von den Tieren des Waldes viel über den Sommer gehört – über die langen, hellen Tage, über saftiges Gras und das Summen der Bienen, über süße Früchte, die an den Sträuchern wuchsen. Aber er hatte diesen Sommer noch nie richtig erlebt.
„Vielleicht“, murmelte Piko eines Abends, „muss ich den Sommer einfach suchen. Vielleicht wartet er irgendwo da draußen nur auf mich.“
Am nächsten Morgen erwachte er früh. Die Sonne glitzerte durch die Blätter, und die Luft roch nach frischem Tau. Piko rollte sich aus seinem Nest, wusch sich mit einem kühlen Tropfen vom Morgentau, packte seinen kleinen Beutel mit einem roten Apfel, einem Stück getrocknetem Brot und einem weichen Blatt zum Zudecken, und machte sich auf den Weg.
Er ging langsam, denn seine kleinen Beinchen trugen ihn nicht besonders schnell. Aber das machte ihm nichts aus. Er war auf der Suche nach dem Sommer – und das war eine wichtige Reise.
Der erste, dem er begegnete, war der alte Maulwurf Herr Grauwurzel. Der wohnte tief unter der Erde und streckte nur selten seine Nase hinaus. Piko winkte ihm freundlich zu.
„Guten Morgen, Herr Grauwurzel! Weißt du, wo ich den Sommer finden kann?“
Der Maulwurf schniefte durch seine große Nase und sagte: „Sommer? Ich bleib lieber unter der Erde. Oben ist’s mir zu hell. Aber ich glaube, du musst dahin gehen, wo die Schmetterlinge tanzen.“
Piko nickte und bedankte sich. Dann wanderte er weiter, durch Farn und Brombeersträucher, bis er bei einer kleinen Lichtung ankam, wo die Sonne durch die Baumkronen schien. Dort summten die Bienen um leuchtende Blumen, und die Luft duftete nach Waldhonig. Dort traf er die Bienenkönigin, die gerade mit ihren Arbeiterinnen Nektar sammelte.
„Guten Tag, Bienenkönigin“, sagte Piko höflich.
„Ich suche den Sommer. Hast du ihn gesehen?“Die Königin schwirrte um ihn herum und sagte freundlich: „Oh, kleiner Igel, du stehst mitten drin! Siehst du die bunten Blüten, hörst du das Summen und fühlst du die Wärme auf deinem Rücken? Das ist der Sommer, mein Kind.“
Piko schnüffelte an einer Blume und lächelte. Es roch süß und frisch, und die Sonne war tatsächlich wärmer als zuvor. Doch etwas fehlte noch. Es fühlte sich schön an – aber war das schon alles?
Also verabschiedete er sich von den Bienen, bedankte sich artig und wanderte weiter. Bald erreichte er einen kleinen Bach, der fröhlich über Steine plätscherte. Dort traf er den Frosch Knips, der auf einem Blatt saß und in der Sonne badete.
„Knips, hast du vielleicht den Sommer gesehen?“ fragte Piko.
Knips quakte und sprang ins Wasser. „Der Sommer ist, wenn du baden kannst, ohne zu frieren! Wenn das Wasser glitzert und die Libellen tanzen! Bleib hier und ruh dich aus, kleiner Freund.“
Piko tauchte vorsichtig eine Pfote ins Wasser. Es war kühl, aber nicht mehr kalt. Er plantschte ein wenig, trank ein paar Schlucke und legte sich dann ins weiche Gras.
Ein warmer Windhauch strich durch das Tal, und in der Ferne hörte er Kinderlachen. Piko schloss kurz die Augen.
„Vielleicht hat Knips recht“, murmelte er. „Vielleicht ist der Sommer einfach da, wenn man ihn fühlt.“
Doch irgendetwas trieb ihn weiter. Er stand wieder auf, schüttelte sich trocken und stapfte über einen sanften Hügel, von dem aus man weit über die Wiesen und Wälder blicken konnte.
Oben auf dem Hügel lag ein Rehkitz und döste in der Nachmittagssonne. Es hatte die Augen geschlossen und sah ganz zufrieden aus.
„Entschuldige, Rehkitz“, sagte Piko leise. „Ich suche den Sommer. Weißt du, wo ich ihn finde?“
Das Rehkitz öffnete langsam die Augen, lächelte und sagte: „Der Sommer ist dort, wo du vergisst, dass du suchst. Dort, wo dein Herz hüpft, ohne Grund. Vielleicht ist der Sommer schon in dir, kleiner Igel.“
Piko setzte sich still neben das Rehkitz und sah in die Ferne. Die Wiese unter ihm leuchtete grün, die Vögel flogen über das Tal, und am Waldrand sah er Kinder, die lachend durch die Felder rannten.
Ein warmes Gefühl breitete sich in seinem Bauch aus. Es war nicht vom Apfel, den er gegessen hatte. Es war ein Gefühl von Glück, Wärme, Licht und Leben.
„Ich glaube, ich verstehe“, sagte Piko leise. „Der Sommer ist ein Gefühl, das man spürt, wenn man staunt, lacht, spielt und liebt.“
Er saß noch eine Weile dort oben, sah dem Wind beim Tanzen zu und den Schmetterlingen beim Flattern. Dann machte er sich langsam auf den Rückweg.
Unterwegs summte er ein kleines Lied, das er sich selbst ausgedacht hatte. Die Blumen nickten ihm zu, die Bienen summten ihm hinterher, und sogar der Maulwurf winkte aus seinem Erdloch.
Als Piko endlich in seiner Höhle ankam, war der Abend schon golden. Die Sonne war dabei, sich hinter den Baumwipfeln zu verstecken, und die ersten Glühwürmchen flogen durch den Wald.
Piko kuschelte sich in sein Nest, schloss die Augen und flüsterte zufrieden: „Ich habe ihn gefunden. Der Sommer ist hier – in meinem Herzen.“
Und während draußen die Nacht leise heranschlich und der Wald langsam zur Ruhe kam, schlief der kleine Igel friedlich ein, träumend vom Licht, vom Lachen und von all dem, was der Sommer ihm gezeigt hatte.
Ende.
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