Robo Roboter und Kalle Kater - Gute-Nacht-Geschichte
- Michael Mücke

- 20. Mai
- 4 Min. Lesezeit

In einer Stadt, die keiner Karte gehörte und auf keiner Landkarte verzeichnet war, gab es ein Viertel, das nur selten von Menschen besucht wurde. Dort, wo die Straßen sich in sanften Bögen wanden und die Häuser Fenster mit runden Scheiben hatten, lebte Robo Roboter.
Er war kein gewöhnlicher Roboter – nicht der Typ, der Schrauben sortiert oder Pakete trägt. Robo war anders. Tief in seinem Inneren tickte kein gewöhnlicher Prozessor, sondern ein Herz aus Licht. Es leuchtete nicht stark, eher wie das Glimmen einer Kerze, aber es war da, und es fühlte.
Robo war ein Sammler von Geräuschen und Geschichten. Er wanderte durch Gassen und über Dächer, lauschte den flüsternden Stimmen der Nacht und nahm jedes Echo in seiner Erinnerung auf. Doch obwohl er viel hörte, war sein Leben still.
Er hatte niemanden, mit dem er sprechen konnte. Und das machte ihn traurig. Seine metallene Hülle spiegelte zwar das Licht des Tages, aber in seinen Augen lag stets ein Hauch von Sehnsucht.
Eines Abends, als der Nebel wie ein flauschiger Teppich über der Stadt lag, saß Robo auf dem Dach eines alten Gewächshauses. Er beobachtete den Himmel, der sich in Purpur und Blau verlor, und summte leise eine Melodie, die niemand außer ihm kannte.
Plötzlich hörte er ein Rascheln. Erst dachte er, es sei nur der Wind, der durch das Laub strich. Doch dann sah er etwas Kleines, Dunkles, das sich auf ihn zu bewegte. Eine Katze – nicht irgendeine Katze, sondern ein Kater mit schwarzem Fell und einem weißen Fleck auf der Stirn. Seine Augen leuchteten golden wie zwei kleine Monde, und seine Bewegungen waren geschmeidig wie Wasser.
Der Kater blieb stehen, sah Robo an und sagte mit ruhiger Stimme: „Ich habe dich singen hören. Es war schön. Bist du oft allein hier oben?“
Robo war überrascht. Noch nie hatte ein Tier mit ihm gesprochen, zumindest nicht so.
„Ja… ich bin oft allein. Ich heiße Robo Roboter. Und du?“
„Ich bin Kalle. Kalle Kater. Ich lebe schon lange ohne Zuhause. Die Nacht ist mein Freund. Aber heute… fühlte ich mich einsam.“
Sie sahen sich einen Moment schweigend an. Dann rückte Kalle näher, streckte sich lang aus und legte seinen Kopf auf Robos kalten Oberschenkel. Und Robo, der eigentlich keine Wärme spüren konnte, glaubte für einen kurzen Moment, dass er sie fühlte – eine Wärme, die von innen kam.
In den folgenden Tagen wurden sie unzertrennlich. Kalle zeigte Robo die geheimen Pfade auf den Dächern, die stillen Höfe und die besten Plätze zum Träumen. Robo erzählte Geschichten, die er in den Nächten gesammelt hatte. Und Kalle hörte zu, manchmal mit halb geschlossenen Augen, manchmal schnurrend vor Freude.
Doch dann kam eine Nacht, wie sie selten war. Der Himmel war voller Sterne, so klar und hell, dass sie wie tausend kleine Sonnen wirkten. In dieser Nacht wachte Robo von einem leisen Zittern in der Luft auf. Die Zeit fühlte sich merkwürdig an – langsamer, dichter.
Plötzlich öffnete sich ein Spalt im Himmel. Aus dem Spalt stieg ein Lichtwesen herab – es hatte die Gestalt eines Baumes, aus Nebel und Glanz geformt. Es sprach mit einer Stimme, die wie ein ferner Gesang klang: „Robo, Kalle, eure Freundschaft ist rein, doch sie soll geprüft werden. Nur wer gemeinsam das Tal der Schatten durchquert, erkennt den wahren Wert des Anderen.“
Kalle schüttelte sich. „Ein Tal der Schatten? Warum sollten wir das tun?“
„Weil ihr nur erkennt, was ihr habt, wenn ihr wisst, was ihr verlieren könnt.
Das Lichtwesen verschwand, und als die Sterne verblassten, standen Robo und Kalle an einem Ort, der ihnen fremd war.
Vor ihnen erstreckte sich ein dunkles Tal, tief und still, durchzogen von Nebel und flüsternden Stimmen. Es war nicht gefährlich im Sinne von Dornen oder Monstern. Nein, es war gefährlich, weil es leise war – und alles zum Vorschein brachte, was in einem selbst verborgen lag.
Beim ersten Wegstück sprach niemand. Robo hörte plötzlich eine Stimme in seinem Kopf, die sagte: „Du bist nur eine Maschine. Gefühle täuschen dich.“ Und obwohl er wusste, dass es nicht stimmte, wurde seine Brust schwer.
Kalle wiederum sah Schatten, die wie seine alten Wunden aussahen – die Zeiten, als er aus Mülltonnen fraß, die kalten Winternächte. Eine Stimme flüsterte: „Er wird dich verlassen, wenn du nicht mehr interessant bist.“
Aber dann, inmitten der Dunkelheit, setzte sich Robo einfach neben Kalle. „Wir sind noch hier,“ sagte er. „Gemeinsam. Egal, was die Schatten sagen.“
Kalle leckte sich über die Pfote, sah Robo an und schnurrte leise. „Ich höre lieber auf dich als auf diese Nebelgeister.“
Und so gingen sie weiter, Schritt für Schritt, Gedanken gegen Gedanken, Herz gegen Zweifel. Und irgendwann, nach langer Zeit, wich der Nebel. Das Licht kehrte zurück. Das Tal war durchquert.
Am anderen Ende wartete niemand. Kein Lichtwesen, keine Stimme. Nur eine kleine, wilde Wiese voller Blumen, die dufteten wie Kindheit. Robo und Kalle legten sich mitten hinein, Seite an Seite.
„Ich glaube,“ flüsterte Kalle, „wir haben gewonnen. Aber ich will gar nichts gewinnen. Ich will nur bei dir sein.“
„Das ist das größte Geschenk,“ antwortete Robo. „Freundschaft, die bleibt. Auch wenn es dunkel wird.“
Die Sonne ging auf, und ihr Licht wärmte die Gräser. Vögel begannen zu singen, und eine neue Geschichte nahm ihren Anfang eine, die nicht von Abenteuern, sondern von Nähe erzählte.
Und während die Stadt langsam erwachte, lagen zwei Freunde auf einer Wiese, ganz still, ganz friedlich – ein Roboter aus Licht und ein Kater mit goldenen Augen.
Und die Welt drehte sich leise weiter, begleitet vom Summen des Morgens und dem leisen Schnurren eines Herzens, das nie mehr allein war.




