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Mara das Gespenst von Schloss Schreckenstein - Gute-Nacht-Geschichte

  • Autorenbild: Michael Mücke
    Michael Mücke
  • 14. Mai
  • 4 Min. Lesezeit

Mara schwebt als Gespenst vor dem Bett

Mara war ein Gespenst. Aber nicht irgendein Gespenst. Sie war klein, blass und fast durchsichtig wie der erste Nebel an einem Herbstmorgen. Ihre Augen waren groß und neugierig, und ihr Lächeln war so sanft wie ein Windhauch über dem See.


Sie lebte auf Burg Schreckenstein, einer alten, ehrwürdigen Burg, hoch oben auf einem Hügel, umgeben von dunklen Wäldern und moosbewachsenen Wegen. Schon der Name „Schreckenstein“ ließ viele Leute schaudern, doch eigentlich war die Burg ein gemütlicher Ort – besonders seit Mara dort wohnte.


Burg Schreckenstein war ein Internat für Kinder. Tagsüber wimmelte es dort von Stimmen, Gelächter, quietschenden Schuhen, Räuberleiter-Spielern und Lesekindern, die sich unter alten Bäumen Geschichten erzählten. Nachts aber, wenn alle schliefen und der Mond silberne Muster auf die Fenster warf, war es Maras Zeit.


Mara hatte nicht viele Freunde unter den Gespenstern. Die alten Spukgestalten, die einst mit ihr auf der Burg lebten, waren längst in den Wald gezogen oder in Staub aufgegangen. Sie lachten über sie, weil sie nicht heulte, nicht spukte, nicht kicherte wie ein klappriger Totenschädel.


„Ein Gespenst, das leise ist, ist kein Gespenst“, hatten sie gesagt.

Aber Mara wollte keine Angst machen. Sie mochte es, den Kindern beim Schlafen zuzusehen, ihnen heimlich die Decke zurechtzuziehen oder ein heruntergefallenes Kuscheltier aufzuheben.


Sie liebte ihre Burg, die knarzenden Dielen, die dicken Mauern, die geheimen Gänge, in denen man sich verstecken konnte wie in einem Buch voller Rätsel. Und über alles liebte sie ihr kleines Zimmer unter dem Dachgiebel, wo sie tagsüber ruhte. Es war vollgestopft mit alten Landkarten, Spielzeug aus vergangenen Jahrhunderten und Notenblättern, die leise Musik flüsterten, wenn der Wind durch die Ritzen zog.


Eines Abends, kurz nachdem alle Kinder zu Bett gegangen waren, wehte ein rauer Wind über die Hügel. Der Himmel war wolkenverhangen, und fern in den Bergen zuckten Blitze. Mara glitt gerade aus ihrem Schlafplatz hervor, als sie ein leises Schluchzen hörte. Es kam aus dem Schlafsaal der Jüngsten.


Sie schwebte vorsichtig durch das Treppenhaus, streifte einen alten Wandteppich, der leise raschelte, und glitt durch eine Tür, die sich einen Spalt weit öffnete, ohne dass jemand sie berührte.


In einem der Betten saß ein Junge – klein, mit strubbeligen Haaren und einem karierten Pyjama. Seine Augen waren rot vom Weinen, und er drückte ein altes Stofftier fest an sich.

„Mama… ich will nach Hause“, murmelte er.


Maras Herz – falls Geister überhaupt Herzen haben – zog sich zusammen. Sie kannte dieses Gefühl. Auch sie hatte sich oft allein gefühlt, als sie noch lebendig war. Sie setzte sich sacht auf den Bettrand. Der Junge zuckte zusammen, als ein kalter Luftzug seine Wange streifte.


„Bist du… ein Geist?“, fragte er zaghaft.


Mara antwortete nicht mit Worten, sondern ließ ein warmes, sanftes Licht aus ihren Händen schweben. Es tanzte wie eine Kerzenflamme, hüpfte über das Kissen und zog dann eine leuchtende Spirale in die Luft. Der Junge staunte.

„Du bist wunderschön“, flüsterte er.


Mara nickte, unsichtbar und doch ganz nah. Dann begann sie, ihm Geschichten zu erzählen. Nicht laut, sondern auf eine Art, wie es nur Gespenster können: direkt ins Herz. Geschichten über Ritter, die heimlich Gedichte schrieben.


Über eine kleine Hexe, die sich in einen sprechenden Besen verliebte. Über einen Drachen, der lieber Tee trank als Feuer speite. Der Junge lächelte im Halbschlaf, und seine Hand entspannte sich.


„Wirst du wiederkommen?“, fragte er schläfrig.


„Jede Nacht, wenn du willst“, antwortete Mara. „Ich bin dein Nachtgespenst.“

In den folgenden Tagen veränderte sich der Junge. Er lachte wieder.


Er malte ein Bild von Mara, wie er sie sich vorstellte mit funkelnden Augen, flatterndem Gewand und einer Spur aus Licht hinter sich. Die anderen Kinder fanden es „cool“, und bald wurde in der ganzen Burg von Mara gesprochen.


„Das Lichtwesen vom Ostturm!“„Das Schlaf-Gespenst!“„Der Traumflüsterer!“

Mara wurde neugierig. Immer mehr Kinder legten abends kleine Botschaften unter ihre Kissen – gezeichnete Herzen, kleine Zettel mit Fragen wie:„Hast du auch mal Angst?“„Magst du Schokolade?“„Hast du Freunde?“


Und Mara antwortete. Manchmal durch ein helles Flackern an der Wand. Oder durch eine leise Melodie aus der Spieluhr, die längst kaputt war. Oder durch einen Duft nach Vanille und alten Büchern.


Doch nicht alle glaubten an sie. Der Schulaufseher Herr Grimmig war überzeugt, dass die Kinder sich alles nur einbildeten.


„Geister? Pah! Reiner Unsinn!“, schnaufte er, während er durch die Gänge stampfte.

Eines Nachts jedoch, als er durch den Ostflur patrouillierte, stolperte er über ein Kissen, das wie von Zauberhand genau vor seine Füße geschwebt war. Er fiel – nicht schlimm, aber genug, um auf dem Hosenboden zu landen.


Als er hochblickte, leuchtete ihm ein sanftes Licht entgegen, das in der Luft tanzte wie ein Glühwürmchen-Ballett. Und für einen kurzen Moment – nur einen winzigen Hauch lang – lächelte er. Am nächsten Morgen sagte er kein Wort darüber. Aber er stellte eine neue Lampe in den Flur. Mit weichem, goldenem Schein.


Und Mara? Sie blieb. Nacht für Nacht wanderte sie durch die Flure, erzählte Geschichten, tröstete, hörte zu. Sie wurde Teil der Burg, wie das Ticken der alten Uhr oder das Kreischen der Turmfalken.


Wenn der Wind über die Hügel weht und das Laub auf dem Dach tanzt, kann man sie manchmal hören, ein leises Kichern, ein zarter Klang wie ein Windspiel, das niemand aufgehängt hat.


Und wenn du einmal auf Burg Schreckenstein übernachtest und du nachts aufwachst und glaubst, da sei jemand bei dir – dann ist es vielleicht Mara. Ganz nah. Ganz freundlich. Ganz besonders.


„Schlaf gut, kleiner Mensch“, flüstert sie dann, „ich pass auf dich auf.“


Und der Traum beginnt.

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