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In der Nacht, als Rubia sang - eine ruhige Geschichte zum Vorlesen

  • Autorenbild: Michael Mücke
    Michael Mücke
  • 8. Okt.
  • 4 Min. Lesezeit
Rubia die Orchidee steht im Regenwald, bereit ihr Gute-Nacht-Lied zu singen

In einer tiefen, warmen Nacht, als der Himmel in samtiges Dunkel getaucht war und die Sterne funkelten wie verstreute Diamanten, erwachte Rubia, die Orchidee, mit einem sanften Seufzen. Sie lebte auf einem alten Mahagonibaum, hoch über dem Boden, wo der Wind süßer roch und die Welt stiller war.


Ihre Blütenblätter waren weich wie Morgennebel und schimmerten in Farben, die zwischen Rosa, Gold und Violett tanzten. Rubia war keine gewöhnliche Blume. Sie besaß eine Gabe, die so selten war wie Regen im Sommer – sie konnte singen. Und wenn sie sang, verfiel der ganze Dschungel in wunderschöne Träume.


Es war jene Nacht, in der der Mond besonders hell leuchtete. Er hing groß und rund zwischen den Palmenblättern und malte silberne Streifen auf das Moos. Rubia öffnete langsam ihre Blüten, als würde sie gähnen, und flüsterte: „Es ist Zeit, dass der Dschungel träumt.“


Ihr erster Ton war kaum hörbar, ein leises Summen, das sich im Wind verlor. Doch der Wind trug es weiter, über Wurzeln und Wasser, durch das grüne Meer der Blätter. Die Geräusche der Nacht – das Zirpen, Rascheln und Tropfen – begannen sich zu verändern. Es war, als würde alles dem Lied lauschen.


Ein kleiner Kolibri, der noch unermüdlich nach Nektar suchte, blieb plötzlich in der Luft stehen. Seine Flügel zitterten, doch er spürte, wie eine sanfte Müdigkeit ihn überkam.


Rubias Stimme klang süß wie Morgentau, und der Kolibri flüsterte: „So klingt Geborgenheit.“ Dann landete er auf einem Blatt und schloss seine winzigen Augen.

Rubia sang weiter, und ihr Lied wurde reicher, voller und wärmer.


Die Töne flossen durch das Dickicht, wie Wasser durch einen Bach, und fanden jeden, der Ruhe suchte. Der alte Jaguar, der sich in der Nähe des Flusses aufhielt, hob den Kopf. Seine goldenen Augen funkelten im Mondlicht, als er lauschte. Er war müde vom Jagen, vom Wachen, vom einsamen Streifen durch die Nacht.


Rubias Lied legte sich über ihn wie eine Decke, und er murmelte: „Endlich kann ich träumen, ohne zu wachen.“ Dann rollte er sich zusammen, legte den Kopf auf seine mächtigen Pfoten und schlief.


Die Glühwürmchen begannen, im Rhythmus der Melodie zu tanzen. Sie schwebten durch die Luft und bildeten funkelnde Muster, als wollten sie Rubia begleiten. Auch die Frösche am Teich, die sonst lauthals quakten, verstummten langsam. Einer von ihnen, ein dicker grüner Frosch mit einem goldenen Fleck auf dem Rücken, flüsterte schläfrig: „Das ist schöner als Regen.“


In den Baumkronen erwachten die Affen, nicht weil sie Angst hatten, sondern weil sie etwas Wunderbares spürten. Die kleinen hielten sich an den größeren fest, und alle hörten dem Lied zu. Nach und nach schlossen sich ihre Augen, und sie wiegten sich in den Ästen, bis sie sanft einschliefen. Selbst der Wind, der sonst über die Blätter pfiff, wurde still, als wollte er Rubia nicht stören.


Rubia spürte, wie der Dschungel ruhiger wurde. Die Nacht schien zu atmen, langsam und gleichmäßig, wie ein schlafendes Tier. Sie sang von Frieden, von weichem Regen, von goldenen Sonnenstrahlen, die auf nassem Gras tanzen. Ihre Stimme war warm wie Honig, und jede Note schien ein Versprechen zu tragen: dass der Morgen hell und freundlich sein würde.


Die Fische im Fluss hörten das Lied, obwohl es kaum über die Wasseroberfläche drang. Sie glitten träumend durch die Strömung, und der alte Schildkröterich, der seit Jahren dort lebte, lächelte und sagte leise: „Ich erinnere mich… so klang die Welt, als sie jung war.“


Rubia lächelte in sich hinein. Sie wusste, dass ihre Aufgabe wichtig war. Jede Nacht, wenn sie sang, fand der Dschungel Frieden. Sie war das Herz der Nacht, die Stimme der Ruhe.


Dann kam das kleine Faultier. Es hing kopfüber an einem Ast in Rubias Nähe. Es öffnete träge ein Auge, gähnte und sagte verschlafen: „Rubia, du singst heute besonders schön.“ Rubia antwortete leise: „Es ist eine besondere Nacht. Der Mond hört zu.“


Das Faultier lächelte, schloss wieder die Augen und war bald in süße Träume gefallen, in denen es auf Regenbogenblättern schaukelte.


Rubia sang weiter, während der Nebel über dem Boden aufstieg und das Mondlicht in milchige Schleier tauchte. Ihr Lied schwebte nun bis zu den Bergen, wo der Wind sich verfing und die Melodie weit über den Wald hinaus trug. Vielleicht hörte sogar das Meer es, leise, irgendwo in der Ferne.


„Schlafe, mein Dschungel, schlaf. Die Sterne wachen für dich.“


Als die ersten Vögel ganz leise in der Ferne zwitscherten, wusste Rubia, dass ihre Arbeit getan war. Die Dunkelheit begann, sich zu heben, und das Licht des Morgens färbte den Himmel Rosa und Gold. Die Tiere atmeten ruhig, alle in tiefem, friedlichem Schlaf.


Rubia schloss ihre Blütenblätter langsam, wie müde Lider nach einem langen Tag. Sie flüsterte noch ein letztes Mal: „Wenn der Tag erwacht, träumt mein Lied in euren Herzen weiter.“


Dann schlief sie ein, eingehüllt vom Duft der Nacht und vom Flüstern der Blätter. Der Dschungel ruhte, und alles war still, sanft und vollkommen.


So war es in jener Nacht, als Rubia sang – die Nacht, in der jedes Wesen Frieden fand, und der Dschungel selbst zu träumen begann.

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