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Im Land der Riesenschildkröten - eine Tier Geschichte zum Vorlesen

  • Autorenbild: Michael Mücke
    Michael Mücke
  • 30. Aug.
  • 4 Min. Lesezeit
Lina sitzt auf dem Rücken der Riesenschildkröte Auri

Im Land der Riesenschildkröten, weit hinter den glitzernden Nebelbergen, wo die Wolken manchmal so tief hingen, dass man sie wie Schleier anfassen konnte, gab es eine Bucht, die von allen „Die stille Lagune“ genannt wurde.


Diese Lagune war so friedlich, dass selbst der Wind dort nur flüsterte und das Meer seine Wellen nicht höher schickte, als unbedingt nötig.


Dort lebten die uralten Riesenschildkröten, deren Panzer wie kleine Landschaften wirkten. Manche Panzer waren mit Moos bewachsen, auf anderen glitzerten winzige Kristalle, und wieder andere trugen bunte Blumen, die niemals welkten.


Jede dieser Schildkröten war älter, als ein Mensch es sich vorstellen konnte. Ihre Augen funkelten wie zwei uralte Lampen, die voller Geschichten waren, und ihre Bewegungen waren so bedächtig, dass man glauben konnte, sie trügen die ganze Ruhe der Welt in sich. Wenn sie sprachen, klangen ihre Stimmen wie das tiefe Grollen ferner Gewitter, nur viel sanfter, wie ein beruhigender Gesang.


Eines Abends, als die Sonne sich langsam wie ein rotes Band in den Horizont schmiegte, schlich sich ein neugieriges Kind namens Lina aus ihrem Dorf.


Schon seit Wochen hörte sie die alten Geschichten der Dorfbewohner, die erzählten, dass dort draußen Schildkröten lebten, so groß wie kleine Inseln. Doch niemand im Dorf wollte es wirklich glauben. Lina aber spürte tief in ihrem Herzen, dass es mehr gab, als die Erwachsenen ahnten.


Die Lagune war still, nur das Rascheln der Palmen und das leise Zirpen der Grillen begleiteten ihren Weg. Das Wasser schimmerte wie flüssiges Silber, und Lina trat vorsichtig an den Rand, wo das Meer im Mondlicht glitzerte.


Da tauchte plötzlich ein gewaltiger Schatten unter der Oberfläche auf. Erst dachte Lina, es sei ein Felsen, doch dann bewegte sich der Schatten langsam nach oben, und eine riesige Schildkröte durchbrach die Stille der Wasseroberfläche.


Ihr Kopf war groß wie ein Boot, und ihre Augen leuchteten wie zwei sanfte Sterne. Lina wich keinen Schritt zurück, sondern flüsterte ehrfürchtig: „Bist du eine von ihnen?“


Die Schildkröte blinzelte gemächlich, und ihre Stimme klang wie ein Lied aus der Tiefe: „Ja, Kind, ich bin Auri, Wächterin der vergessenen Gezeiten.“ 


Ihre Worte waren schwer, aber nicht bedrohlich, und jede Silbe fühlte sich an wie eine warme Decke, die sich um Linas Herz legte.


Auri legte ihren mächtigen Kopf nah ans Ufer, sodass Lina die runzlige Haut berühren konnte. Zwischen den Falten wuchsen kleine Blumen, die im Dämmerlicht wie winzige Sterne glühten. Lina staunte und fragte: „Warum wachsen Blumen auf deinem Panzer?“


Auri antwortete mit ruhiger Gelassenheit: „Jeder Schritt, den wir über Jahrhunderte machen, schenkt der Erde neues Leben. Die Blumen sind die Erinnerung an all die Orte, die ich beschützt habe.“


Noch während sie sprach, erhob sich eine zweite Schildkröte aus dem Wasser, dann eine dritte und bald eine ganze Gruppe. Ihre Rücken trugen nicht nur Blumen, sondern auch kleine Sträucher, bunte Schmetterlinge und sogar Vögel, die auf den Panzern Nester gebaut hatten.


Manche Panzer glitzerten wie Spiegel, auf denen der Mond sich spiegelte, während andere von bunten Steinen bedeckt waren, die wie Edelsteine funkelten. Gemeinsam bildeten sie eine leuchtende Kette, die weit hinaus aufs offene Meer reichte.


Lina fühlte, dass ihr Herz weit wurde, größer als jemals zuvor. Sie fragte ehrfürchtig: „Wohin schwimmt ihr in dieser Nacht?“ 


Und Auri lächelte so sanft, dass selbst die Wellen stillhielten: „Wir reisen zum Horizont, um das Licht des neuen Tages zu empfangen. Es ist unsere Aufgabe, die Sonne zu begrüßen, damit sie sicher aufgeht.“


Vorsichtig durfte Lina sich auf Auris Rücken setzen. Die Schildkröte glitt mit ruhigen Bewegungen durch das Wasser, und Lina fühlte, wie das Meer unter ihr sang.


Es war, als würde sie auf einer schwimmenden Insel reisen. Überall um sie herum glühten die Blüten, funkelten die Kristalle und leuchteten die Augen der anderen Schildkröten. Während sie weiterzogen, erzählte Auri Geschichten.


Sie sprach von Zeiten, als Kinder mit den Schildkröten gesungen hatten, von Nächten, in denen die Sterne so hell waren, dass sie sich in den Panzerzeichnungen verirrten, und von Tagen, an denen ganze Wälder auf den Rücken der ältesten Schildkröten gewachsen waren.


Wir tragen die Erinnerungen der Welt auf unseren Schultern,“ sagte Auri, „damit nichts vergessen wird, nicht einmal die kleinsten Dinge.“


 Lina lauschte und stellte viele Fragen. Sie wollte wissen, ob die Schildkröten je müde würden, ob sie Freunde unter den Meeresbewohnern hatten und ob sie wirklich jeden Morgen die Sonne begrüßten.


Auri antwortete auf jede Frage geduldig, mit Worten, die so warm waren, dass Lina das Gefühl hatte, sie reiste nicht nur über das Meer, sondern auch durch Geschichten.


Als die Nacht tiefer wurde, färbte sich der Himmel dunkelblau, und Millionen Sterne funkelten wie glitzernde Tropfen über ihnen. Manche Schildkröten trugen kleine Kristalle, die wie zusätzliche Sterne auf dem Wasser glitzerten. Es war, als sei Lina mitten in ein lebendiges Sternbild geraten.


Schließlich, als ihre Augen müde wurden, beugte sich Auri zu ihr und sprach leise: „Schlafe, kleines Kind. Wer mit den Schildkröten reist, wird in seinen Träumen den Glanz der Sterne finden.“


Lina legte sich auf den warmen Panzer, und während sie einschlief, hörte sie das tiefe, beruhigende Atmen der Schildkröten, das klang wie ein Lied, das nur für sie gesungen wurde.


Als sie am nächsten Morgen erwachte, lag sie am Strand der Lagune. Das Meer war still, und kein Zeichen der Schildkröten war zu sehen. Doch in ihrer Hand hielt sie eine kleine, leuchtende Blume, die noch immer im Rhythmus der Wellen glühte.

Von diesem Tag an wusste Lina, dass die Riesenschildkröten wirklich existierten.


Niemand im Dorf glaubte ihr, doch sie lächelte still und flüsterte in den Wind: „Danke, Auri, für die Reise.“ Und tief im Meer, verborgen unter den Wellen, antwortete ein kaum hörbares Echo: „Wir sehen uns wieder, Kind.“

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