Der Tanz der Schmetterlinge - eine emphatische Gute-Nacht-Geschichte
- Michael Mücke

- 30. Sept.
- 4 Min. Lesezeit

Es war einmal ein kleiner Junge namens Emil, der sich oft anders fühlte als alle anderen Kinder im Dorf. Während die anderen laut lachten, Rennen spielten und Geschichten erzählten, saß Emil manchmal still im Gras, betrachtete die Wolken und lauschte dem leisen Rauschen der Blätter.
Er fragte sich oft: „Warum bin ich nicht wie sie?“ Manchmal fühlte er sich so klein und unbedeutend, dass er glaubte, niemand würde seine Gedanken und Träume verstehen.
Eines Abends, als der Himmel sich in warme Orange- und Rosatöne färbte, wanderte Emil allein über die Wiesen hinter dem Dorf. Der Wind spielte sanft mit seinem Haar, und das Gras kitzelte seine nackten Beine. Er fühlte sich traurig, doch gleichzeitig zog ihn etwas in die Ferne.
Plötzlich entdeckte er einen schmalen Pfad, den er noch nie bemerkt hatte. Er war mit Moos bedeckt und von wild wachsenden Blumen gesäumt, deren Blüten in allen Farben leuchteten. Emil spürte, dass dies kein gewöhnlicher Weg war, und ging vorsichtig weiter.
Bald erreichte er ein Tor aus alten, geschwungenen Ästen, das von leuchtenden Blüten umrankt war. Vorsichtig schob er es auf, und vor ihm erstreckte sich ein Garten, wie er ihn noch nie gesehen hatte. Überall funkelten Blumen, die wie Edelsteine schimmerten, und die Luft war erfüllt von einem süßen, beruhigenden Duft.
Kleine Lichtpunkte tanzten durch die Luft wie winzige Sterne, und Emil hörte das leise Summen von Insekten, das wie Musik klang. „So etwas Schönes habe ich noch nie gesehen,“ flüsterte er.
Mit jedem Schritt entdeckte Emil neue Wunder: einen kleinen Bach, dessen Wasser im Mondlicht silbrig glänzte, leuchtende Pilze, die wie Laternen strahlten, und Bäume mit Blättern, die in allen Regenbogenfarben schimmerten. Während er staunend umherging, spürte er plötzlich einen zarten Flügelschlag an seiner Schulter.
Ein Schmetterling mit goldenen, funkelnden Flügeln setzte sich sanft auf seine Hand. „Hallo, kleiner Freund,“ sagte eine leise, glitzernde Stimme. Emil blinzelte überrascht. „Du… du kannst sprechen?“ Der Schmetterling nickte fröhlich.
„Natürlich kann ich sprechen,“ sagte der Schmetterling. „Ich kann mit dir reden, weil dein Herz zuhört und offen ist.“ Emil fühlte sich seltsam beruhigt. Zum ersten Mal schien es, als würde jemand ihn wirklich verstehen.
„Ich… ich fühle mich oft anders,“ begann Emil leise. „Ich weiß nicht, warum ich nicht so bin wie die anderen Kinder.“
Der Schmetterling schwebte leicht um ihn herum, und seine Flügel schimmerten im sanften Licht des Abends. „Anders zu sein bedeutet nicht, falsch zu sein,“ erklärte er.
„Jeder Schmetterling hat seine eigenen Farben, seine eigene Flugbahn und seinen eigenen Tanz. Würden wir alle gleich sein, wäre der Tanz der Schmetterlinge langweilig und leer. Genau so ist es mit dir.“
Emil hörte aufmerksam zu. Sein Herz klopfte schneller, und ein warmes Gefühl breitete sich in seiner Brust aus. „Also… ich bin wie ein Schmetterling? Mit meinem eigenen Tanz?“ fragte er vorsichtig. Der Schmetterling nickte.
„Genau. Dein Denken, dein Träumen, deine Art, die Welt zu sehen – das macht dich besonders. Du bist ein wichtiger Teil des Ganzen.“
Plötzlich erschienen mehr Schmetterlinge aus allen Richtungen: leuchtend blau, rot, grün, silbern und golden. Sie wirbelten durch die Luft, wirbelten in Kreisen, tanzten über Blüten und Wasserflächen. Emil lachte vor Freude, als er die kleinen Wesen beobachtete.
„Ihr tanzt für mich?“ fragte er staunend.
„Ja,“ antwortete der goldene Schmetterling, „wir tanzen für dich, damit du niemals vergisst, wie wertvoll du bist.“
Emil beschloss, sich dem Tanz anzuschließen. Er streckte die Arme aus, drehte sich vorsichtig im Kreis und spürte, wie die Schmetterlinge ihn umkreisten. Ihr Tanz fühlte sich an, als würde er selbst zu einem Teil des Gartens werden.
Die Blumen wiegten sich im Rhythmus, der Wind summte leise mit, und das Wasser des Bachs glitzerte wie ein Spiegel, der das Licht der Schmetterlinge einfing.
Dann entdeckte Emil einen geheimen Pfad im Garten, der zu einer kleinen Lichtung führte. Dort standen winzige Häuser aus Blättern und Zweigen, in denen leuchtende Glühwürmchen wohnten. „Willst du unsere Welt erkunden?“ fragte der goldene Schmetterling.
Emil nickte eifrig, und gemeinsam mit den anderen Schmetterlingen besuchte er die Häuser, sah die Glühwürmchen bei ihren leuchtenden Aufgaben und lernte sogar, wie kleine Schmetterlinge lernen, ihre Flügel zu falten und im Wind zu tanzen.
Während er die magischen Wesen beobachtete, dachte Emil: „Ich bin zwar anders, aber vielleicht ist mein Anderssein genau das, was mich besonders macht. Genau wie die Schmetterlinge.“ Sein Herz fühlte sich leicht an, und ein glückliches Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus.
Als die Nacht tiefer wurde und die Sterne funkelten, legte sich Emil auf eine weiche Blumenwiese. Die Schmetterlinge setzten sich um ihn, als wollten sie ihn behüten.
Der goldene Schmetterling landete sanft auf seiner Hand und flüsterte: „Vergiss nie, kleiner Freund: Dein Tanz ist einzigartig. Du machst die Welt heller, weil es dich gibt.“
Emil schloss die Augen. Die sanften Flügelschläge, das leise Summen des Gartens und das Gefühl, endlich wirklich verstanden zu werden, begleiteten ihn in seine Träume.
In dieser Nacht tanzte er mit den Schmetterlingen, flog durch Regenbögen, über funkelnde Bäche und durch leuchtende Blumenfelder. Er wusste, dass er, genau so wie er war, geliebt, wichtig und einzigartig war.
Und von diesem Tag an erinnerte sich Emil immer an den Tanz der Schmetterlinge, wann immer er sich anders fühlte. Denn er wusste: Jeder von uns hat seinen eigenen Tanz, und die Welt wird schöner, wenn wir ihn tanzen.




