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Der Schwertkampf des Samurai - eine spannende Gute-Nacht-Geschichte

  • Autorenbild: Michael Mücke
    Michael Mücke
  • 16. Juli
  • 4 Min. Lesezeit
Der Samurai steht mit seinen Schwertern vor seinem Haus

In einem abgelegenen Tal, weit entfernt von den großen Städten und Handelsstraßen, lag ein Dorf namens Kogawa. Die Menschen dort lebten einfach, im Einklang mit der Natur, mit Reisfeldern, Ziegen und Teehainen, die sich an die grünen Hügel schmiegten. Zwischen schmalen Gassen aus dunklem Holz und bröckelndem Stein lebte ein junger Samurai namens Hiroshi.


Hiroshi war sechzehn Jahre alt und stand am Beginn seines Erwachsenseins. Seine Augen waren dunkel wie stilles Wasser, und seine Bewegungen trugen die Ruhe eines Menschen, der viel mehr beobachtete als sprach. Seit seiner Kindheit hatte er das Schwert geführt, zuerst aus Spiel, dann mit Ernst, dann mit Hingabe. Sein Vater war in einem fernen Krieg gefallen, und seine Mutter sagte oft: „Dein Schwert soll nicht Rache führen, sondern Wege öffnen.“


Hiroshi hatte nie viel gesprochen. Er war ein Hörer, ein Seher, ein stiller Sohn. Jeden Morgen, noch vor Sonnenaufgang, verließ er das Haus, stieg den schmalen Pfad zur alten Zeder hinauf und übte allein. Mit dem Bambusschwert vollführte er Bewegungen, die er seit Jahren verfeinerte: Schritt, Drehung, Hieb, Haltung. Und wenn das erste Licht die Nebelschleier durchbrach, verharrte er im Stand und atmete tief, als würde er sich selbst in der Stille suchen.


Doch etwas begann sich zu verändern. Die Vögel, die sonst bei Morgengrauen sangen, schwiegen. Die Ältesten des Dorfes tuschelten leiser als sonst. Und dann, an einem grauen Morgen, erschien ein alter Mann auf dem Dorfplatz. Er trug einen Strohmantel und einen wandernden Blick. Es war Meister Tetsuya, der Weise des Nordens, der nur kam, wenn das Gleichgewicht bedroht war.


Er rief Hiroshi zu sich. Die Menschen machten ihm wortlos Platz.

„Im Norden wurde ein heiliger Ort geschändet,“ sprach der Meister.


„Der Schrein von Yamamura, in dem seit Jahrhunderten das Gleichgewicht zwischen Berg und Tal bewahrt wurde, liegt in Trümmern. Der Hüter dort ist verstummt. Kein Regen fällt mehr über die Hügel. Die Tiere wandern ab. Du musst dorthin gehen.“


Hiroshi verneigte sich tief. Keine Frage verließ seine Lippen. Er nahm nur sein Katana, das ihm sein Vater hinterlassen hatte, wickelte es in grobes Tuch, packte etwas Reis und Wasser in einen Beutel und verließ Kogawa bei Tagesanbruch.


Die Reise war hart und lang. Der Himmel blieb bleiern, als wolle er sich verbergen. Die Wege waren schmal, kaum begangen, voller Wurzeln und feuchter Steine. Hiroshi übernachtete unter Bäumen, trank aus Quellen, lauschte dem Rascheln von Füchsen, hörte Wölfe in der Ferne. Manchmal fühlte er, wie ihn Augen beobachteten, aus dem Dickicht, aus der Ferne, aus der Vergangenheit. Doch er blieb aufrecht und schritt weiter.


Am fünften Tag erreichte er die Ausläufer der nördlichen Berge. Nebel lag tief in den Tälern, schwer wie Schweigen. Der Schrein, von dem Tetsuya gesprochen hatte, lag auf einem abgelegenen Felsplateau. Einst war er aus Zedernholz erbaut, mit feinen Schnitzereien an den Balken, goldenen Symbolen über dem Tor, und mit einem Glockenturm, der den Wind einfing. Jetzt war das Tor zersplittert, die Balken schwarz von Ruß, die Glocke verstummt.


Doch Hiroshi blieb nicht stehen. Er trat durch die zerbrochene Tür und sah, wie zwischen den Trümmern eine Gestalt saß. Ein Mann, groß, kräftig, mit einem Mantel aus schwerem Leinen und einem Schwert auf den Knien. Er wirkte weder überrascht noch feindselig. Seine Augen waren klar wie Eiswasser.


„Du bist also gekommen,“ sagte der Mann ruhig. „Du trägst dein Schwert nicht leichtfertig. Das sieht man an deinem Blick.“


„Ich bin Hiroshi aus Kogawa,“ antwortete er. „Ich wurde gesandt, um den Schrein zu schützen.“


Der Mann lächelte kaum merklich. „Und wenn das, was du schützen willst, sich dir entgegenstellt?“


Hiroshi trat einen Schritt vor. „Dann werde ich es verstehen, nicht vernichten.“

Der Fremde erhob sich, langsam, mit der Würde eines Mannes, der viele Wege gegangen war. Er war kein Dieb, kein Räuber, kein einfacher Feind. In seinen Augen lag Tiefe, als hätte er selbst einst diesen Ort gehütet.


„Dann prüfen wir dein Herz, nicht nur dein Schwert.“


Er zog sein Katana in einer fließenden Bewegung. Es war alt, aber gepflegt, mit dunkler Klinge und blauem Griff. Hiroshi zog ebenfalls. Kein Laut war zu hören außer dem leichten Schaben der Klingen.


Sie begannen zu kämpfen – nicht mit Wut, sondern mit Respekt. Jeder Hieb war eine Frage, jede Parade eine Antwort. Sie bewegten sich über das zerbrochene Holz, zwischen aufgestürzten Balken, mit der Leichtigkeit von Tänzern.


Die Schwerter klangen, berührten sich, lösten sich, kreisten, wie Gedanken, die um Wahrheit rangen.

Der Kampf dauerte lange. Minuten vergingen, vielleicht Stunden. Zeit verlor ihren Sinn. Der Wind rauschte leise, als wolle er die Bewegungen mit sich tragen. Dann, plötzlich, blieb Hiroshi stehen. Seine Brust hob sich, sein Schwert senkte sich leicht.


„Du willst diesen Ort nicht zerstören,“ sagte er leise.


„Du willst ihn erlösen.“

Der Mann hielt inne. Sein Blick wurde weich.


„Ich war einst der Hüter,“ gestand er. „Doch ich habe versagt. Ich habe den Ort nicht beschützt, als die Menschen ihn vergaßen. Der Schrein starb, weil niemand mehr an ihn glaubte. Ich blieb zurück, um zu sühnen.“


Hiroshi senkte sein Katana und trat näher. „Dann lass uns gemeinsam neu beginnen.“


Der Mann nickte, langsam. Gemeinsam begannen sie, den Schrein aufzurichten. Sie richteten die Pfosten auf, entfernten das schwarze Holz, legten neue Steine um den Altar. Es dauerte den ganzen Tag und die halbe Nacht, aber sie sprachen kaum. Am Ende brannte eine kleine Laterne am Eingang, und die Glocke klang wieder leise im Wind.


Als Hiroshi sich am nächsten Morgen zum Gehen wandte, verbeugte sich der Mann tief.

„Du hast mich an das erinnert, was ich verloren hatte.“


„Und du hast mir gezeigt, was es wirklich heißt, zu kämpfen,“ antwortete Hiroshi.

Als er zurück ins Dorf kam, erwarteten ihn die Menschen mit stillem Staunen. Niemand fragte, was genau geschehen war. Doch das Wasser im Brunnen war klarer als je zuvor, und am nächsten Tag begannen die Vögel wieder zu singen.


Wenn Hiroshi später unter der alten Zeder übte, kamen manchmal Kinder und setzten sich in die Nähe. Und wenn sie ihn fragten: „Wie war dein Kampf?“, dann antwortete er:


„Manche Kämpfe führen uns nicht zu Siegen, sondern zu Verstehen. Und das ist oft der größere Weg.“


Dann kehrte er zur Übung zurück – Schritt, Drehung, Hieb, Haltung – und die Zeder rauschte im Wind, als würde sie nicken.

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