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Der Schlafsand-Lieferdienst - Gute-Nacht-Geschichte

  • Autorenbild: Michael Mücke
    Michael Mücke
  • 16. Mai
  • 4 Min. Lesezeit

Der Schlafsand-Lieferdienst macht neuen Schlafsand

Es gibt Dinge auf der Welt, die man nicht sehen kann, wenn man wach ist – nur wenn man so richtig schläft. Nicht nur ein bisschen döst oder blinzelt, sondern richtig tief schläft, mit ganzem Herzen und geschlossenen Gedanken. Und genau dort, in dieser Zwischenwelt aus Träumen, Erinnerungen und warmen Atemzügen, arbeitet der Schlafsand-Lieferdienst.


Er ist kein gewöhnlicher Dienst wie die Post oder die Feuerwehr. Nein. Er ist ein uraltes, flüsterleises Netzwerk aus Traumforschern, Wolkenhütern, Windzeichnern und – natürlich – dem Schlafsand selbst. Kein Mensch weiß genau, wie lange es den Dienst schon gibt, aber es heißt, er entstand am allerersten Abend, als das erste Kind der Welt nicht einschlafen konnte. Seitdem wacht er über alle Träumer.


Der Hauptsitz des Schlafsand-Lieferdienstes befindet sich nicht auf der Erde. Er schwebt darüber, eingebettet in eine riesige, langsam rotierende Schlafinsel, die wie eine Mischung aus Uhrwerk, Garten und Bibliothek aussieht. Die Insel driftet durch das Obenland, einer Himmelsdimension über dem Himmel, wo sich vergessene Lieder, verlorene Träume und schimmernde Gedankenreste sammeln.


Auf der Insel lebte das Sandwesen Zako Fünkchen, ein kleiner, freundlicher Nachtgestalter mit einer Stimme wie flauschiges Rascheln. Zako war so alt wie der dritte Stern links vom Mond, aber immer noch flink und voller Neugier. Seine Haut war aus feinem Schlafstaub gewebt, sein Haar bestand aus fliegenden Samen, und seine Augen glühten in verschiedenen Farben – je nachdem, was er gerade fühlte.


Zako war ein Traumkomponist. Jeden Abend mischte er neue Sorten Schlafsand in seiner Werkstatt, die sich auf einem langsam kreisenden Felsen befand, auf dem ein Birnbaum wuchs, der Glöckchen statt Früchte trug. In seiner Werkstatt roch es nach Vanille, Zimt, alten Büchern, Lagerfeuerrauch und Regen auf trockenem Gras – alles zusammen.


An diesem Abend stand eine besonders wichtige Lieferung bevor.


„Kind Nummer 7938, Name: Mats, Alter: 7 Jahre, Situation: Einschlafstörung wegen Gedankenkarussell. Besonderheit: Fantasie sehr aktiv, neigt zu Grübeln vor dem Einschlafen. Empfehlung: Mischung 'Traumsammler-Sand mit Lichtfunken und Erinnerungsflaum', Zusatz: ein Stück Flüsterwind.“


Zako kratzte sich am Ohrläppchen. „Aha. Mats. Ein Grübler. Wir brauchen etwas Weiches, aber Starkes. Nichts Lautes, nichts Schnelles. Etwas, das auf Zehenspitzen denkt.“


Er ging an die Regale. Dort standen tausende Fläschchen, Dosen, Kisten und Kugeln. Er wählte:


Ein Löffel Sternenschmelze – damit der Traum glänzt

Drei Tropfen Kindheitsmut – aus dem Mutkrug des Drachenhortes

Ein Faden aus Großmutters Lachen – gewebt aus Erinnerungsschnipseln

Einen Splitter Dämmerung – für weiche Übergänge

Ein Kitzeln vom Bauch eines Traumwals


Er gab alles in den Schimmermischer, ein schwebendes Gerät, das summte und schnurrte. Der fertige Sand war so leicht, dass man ihn kaum sah – aber wenn man ganz genau hinsah, sah man winzige Szenen in jedem Körnchen: einen fliegenden Pilz, eine tanzende Kaffeetasse, ein Pinguin mit Umhang.


„Perfekt“, murmelte Zako. „Jetzt muss nur noch geliefert werden.“


Die Lieferung übernahm Luma, die Wolkenfahrerin. Luma fuhr das Luftgefährt „Träumonaut 9“, ein lebendiger Teppich mit eigenen Gedanken, der durch Gedankenströme und Herzpfade navigierte. Luma war etwa so groß wie ein Schulranzen, mit schimmernden Schuppen an den Armen und einem Hut aus gesammeltem Nebel.


„Los geht’s. Koordinaten: Unterkante Milchstraße, Gebiet Zwischenraum, Bett 4-B, Träumling: Mats.“


Der Träumonaut glitt lautlos durch das Obenland, durchlöcherte Sternenbeete, zwitschernde Windkanäle, ein Gebiet voller fliegender Wörter (manche kicherten beim Lesen), bis sie schließlich das Haus von Mats erreichten.


Es war still. Mats lag wach in seinem Bett.


Die Decke war ordentlich, aber seine Augen waren offen. Seine Gedanken rasten:

„Was ist, wenn ich morgen den Bus verpasse? Warum hat Mama gesagt, sie ist müde? Habe ich den Ball falsch geworfen? Was, wenn alle mich komisch finden?“

Luma stand auf dem Fensterbrett.


Sie atmete tief ein und begann den Sand zu streuen. Er rieselte durch das Fenster, ohne es zu öffnen, und tanzte in Spiralen. Ein Hauch, kaum spürbar. Eine Wärme. Ein Flüstern.


„Sei leicht. Lass los. Jetzt darfst du träumen.“


In diesem Moment glitt Mats in den Schlaf. Und in seinem Traum landete er auf einem riesigen fliegenden Sofa mitten in einem Himmel voller Türen. Jede Tür führte in einen anderen Gedanken. Aber diesmal hatte Mats einen Schlüssel.


Er öffnete die erste Tür und fand sich in einem Zimmer voller Lacher. Seine Freunde waren dort, aber nicht, wie sie wirklich waren – sondern als Tierwesen. Einer war ein Fuchs mit Brille, der andere ein Panda mit Skateboard. Sie spielten zusammen auf einer Wiese aus Matheaufgaben, die man durch Tanzen lösen konnte.


In der zweiten Tür war ein Wald. Dort traf er eine alte Eule, die ihm sagte: „Deine Sorgen sind nur Gedanken mit zu engen Schuhen. Zieh sie aus, schau sie an, und dann leg sie schlafen.“


Mats lachte. Er sprang, rannte, flog. Er ritt auf einem Staubsauger, der Wünsche aufsaugte und erfüllte. Er fand ein Museum mit seinen eigenen Erinnerungen – die erste Umarmung, der erste Regentanz, der erste selbst gepflückte Blumenstrauß für Papa.


Und irgendwann, als der Traum ganz weich wurde, schloss sich die letzte Tür. Mats fiel tiefer, aber nicht schwerer – sondern leichter. Sicher. Geborgen.


Am Morgen lag eine winzige Spur Glimmerstaub auf seinem Kopfkissen – und ein Papierstreifen in seiner Hand:„Heute wird gut. Und du bist bereit. Dein Traum war da.“


Der Träumonaut schwebte längst wieder zurück. Luma trank Tee aus einer dampfenden Mondtasse. Zako notierte:


„Ziel erreicht. Schlafsand wirksam. Träumling stabilisiert. Fantasie aktiviert.“

Und auf der großen Karte, mitten auf der Schlafinsel, erschien ein neuer leuchtender Punkt: Mats – Träumer aktiv. Verbunden. Bereit für weitere Nächte.


Denn der Schlafsand-Lieferdienst hört niemals auf. Er ist überall. Zwischen Gedanken. Zwischen Atemzügen. Zwischen der letzten Frage und dem ersten Traum.


Und wenn du heute Nacht die Augen schließt und es kurz kribbelt auf deiner Stirn, dann weißt du:


„Der Schlafsand ist da. Der Traum beginnt.“

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