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Das geheime Leben der Sockenmonster - Gute-Nacht-Geschichte

  • Autorenbild: Michael Mücke
    Michael Mücke
  • 18. Mai
  • 5 Min. Lesezeit

Das Sockenmonster steht in seinem Versteck

Emil war ein aufgeweckter, neugieriger Junge mit einer lebhaften Fantasie, der sich mit Begeisterung für alles interessierte, was geheimnisvoll, ungewöhnlich oder ein kleines bisschen magisch war.


Doch in letzter Zeit beschäftigte ihn eine ganz bestimmte Frage, die ihn Abend für Abend um den Schlaf brachte: Warum verschwanden seine Socken ständig auf rätselhafte Weise? Mal fehlte eine Socke direkt nach dem Waschen, mal lag nur eine von beiden unter dem Bett, obwohl er sich doch ganz sicher war, beide ordentlich ausgezogen zu haben. Das Ganze war ihm ein Rätsel, das ihn langsam, aber sicher zur Verzweiflung brachte.


Eines Morgens, nachdem er erneut nur eine einzelne, halb eingerollte Socke unter seinem Stuhl gefunden hatte, stapfte Emil zu seiner Mutter, stemmte die Hände in die Hüften und fragte ernsthaft: „Mama, warum verschwinden eigentlich immer meine Socken?“


Seine Mutter lächelte geheimnisvoll, während sie den Frühstückstisch deckte, und sagte in einem Tonfall, der halb im Spaß, halb im Ernst klang: „Vielleicht holen sich die Sockenmonster nachts immer genau die Socken, die ihnen am besten gefallen.“


Emil blieb mit offenem Mund stehen und blinzelte. Sockenmonster? War das ein Scherz oder ein echtes Geheimnis, das Erwachsene nur aus Versehen verrieten?


Diese Idee ließ ihn nicht mehr los. Den ganzen Tag über dachte er darüber nach – im Bus zur Schule, beim Malen im Kunstunterricht, beim Spielen auf dem Pausenhof. Und als er schließlich abends in seinem Bett lag, traf er eine Entscheidung: Heute Nacht würde er wach bleiben und herausfinden, ob an der Sache mit den Sockenmonstern wirklich etwas dran war.


Mit einer kleinen Taschenlampe, die er sich heimlich aus der Küchenschublade genommen hatte, legte er sich unter seine warme Decke und stellte sich schlafend. Seine Lieblingssocken, ein grünes Paar mit kleinen gelben Dinosauriern darauf, hatte er extra gut sichtbar neben das Bett gelegt, damit die angeblichen Sockenmonster sie auch wirklich sehen konnten, falls es sie denn überhaupt gab.


Die Minuten schlichen langsam voran, während das Ticken der Uhr an der Wand die Stille füllte. Draußen rauschte der Wind leise durch die Blätter, und irgendwo schnurrte eine Katze, die sich unter das Fenster gekuschelt hatte.


Emil kämpfte gegen die Müdigkeit an und kniff immer wieder die Augen zusammen, um wach zu bleiben. Dann, gerade als er dachte, er hätte sich alles nur eingebildet, geschah es.


Ein leises Rascheln ertönte, gefolgt von einem dumpfen Kichern, das sich anhörte wie das Flüstern von Baumwolle auf Teppichboden. Direkt neben seinem Bett öffnete sich ganz plötzlich eine kleine, runde Tür im Boden – sie war kaum größer als ein Suppenteller und leuchtete schwach in einem sanften Blau.


„Beeil dich, Trillie, bevor die Socke sich’s anders überlegt!“


„Ich komm ja schon, Borla! Hör auf, an meinen Ohren zu ziehen!“


Zwei winzige, flauschige Wesen kletterten aus der Tür und schauten sich vorsichtig um. Ihre Körper waren rund und weich wie Wattebäusche, ihre Ohren lang und beweglich wie Antennen, und sie hatten große Augen, die im Dunkeln wie kleine Monde glänzten. Sie trugen winzige Rucksäcke, aus denen einzelne Fäden und Miniatur-Wäscheklammern ragten.


Emil hielt den Atem an und wagte kaum, sich zu bewegen. Die Wesen wirkten nicht bedrohlich, eher aufgeregt, als würden sie sich auf einen besonders wichtigen Auftrag vorbereiten.


„Da liegt sie, die Dino-Socke! Ich hab es gerochen, sie ist noch ganz frisch vom Spielen.“


Trillie hüpfte fröhlich auf die Socke zu und schnüffelte daran wie ein Spürhund. Borla folgte ihr dicht auf den Fersen und kicherte: „Siehst du das Muster? So was gibt’s bei uns nur in den alten Märchenbüchern!“


Doch genau in diesem Moment musste Emil leise niesen, denn der feine Glitzerstaub, der aus der geheimen Tür gestoben war, kitzelte seine Nase.


Die beiden Monster erstarrten, ihre Augen weiteten sich, und sie drehten sich gleichzeitig zu Emil um, der nun nicht mehr so tat, als würde er schlafen. Mit großen Augen sah er die beiden an und fragte mit leiser Stimme: „Seid ihr… echte Sockenmonster?“


Borla seufzte, legte den Kopf schief und antwortete schließlich: „Tja, du hast uns wohl erwischt. Wir wollten eigentlich unbemerkt bleiben, aber jetzt ist’s sowieso zu spät.“


Trillie trat verlegen von einem Fuß auf den anderen, trat dann vor und sagte freundlich: „Wir nehmen nur Socken, die niemand mehr vermisst – naja, meistens jedenfalls. Sie helfen uns in unserer Welt, in der wir Erinnerungen sammeln und in Träume verwandeln.“


Emil staunte. „Ihr verwandelt Socken in Träume?“


„Genauer gesagt, in Geschichten.“, sagte Borla stolz. „Jede Socke enthält Spuren von Abenteuern, die Kinder erlebt haben – von Sprüngen in Pfützen, von Rennen durchs Gras, von Kitzeln auf dem Sofa. All das speichern wir, um daraus Geschichten zu weben, die in unserer Welt weiterleben.“


Trillie fügte hinzu: „Wenn du willst, kannst du uns begleiten. Für einen kurzen Besuch. Aber du musst versprechen, niemandem von unserem Geheimnis zu erzählen.“


Ohne zu zögern nickte Emil, denn sein Herz schlug bereits vor Aufregung. Trillie nahm eine Prise Glitzerstaub aus ihrer Tasche, pustete ihn ihm ins Gesicht, und ein warmes, kribbelndes Gefühl durchströmte seinen ganzen Körper. Alles um ihn herum begann zu wirbeln, bis er das Gefühl hatte, durch eine weiche Wolke zu fallen.


Als er die Augen wieder öffnete, stand er mitten in einer Welt, wie er sie sich nicht einmal in seinen wildesten Träumen hätte ausmalen können: Das Sockental erstreckte sich unter einem Himmel aus leuchtenden Wollfäden, die wie Nordlichter über einem weichen Horizont tanzten.


Überall wuchsen Pilze, die wie Knöpfe aussahen, aus dem Boden, und zwischen weichen Baumwollhügeln zogen kleine Züge aus zusammengenähten Stoffresten ihre Runden.


Die Häuser bestanden aus alten Pullovern, zu Zelten umgebauten Turnsocken und winzigen Hausschuhen, die aufeinander gestapelt wie Türme aussahen. In der Mitte des Tales funkelte ein Fluss aus silbernen Fäden, über den eine Brücke aus gestrickten Topflappen führte. Monster aller Formen und Farben flitzten herum, lachten, spielten und trugen stolz ihre gesammelten Socken wie Medaillen.


Borla führte Emil zu einem großen, runden Gebäude, das aussah wie eine überdimensionale Waschmaschine. Es drehte sich langsam und war mit Fenstern aus durchsichtigen Knöpfen versehen.


„Das ist die Erinnerungsfabrik.“, erklärte er. „Hier wandeln wir die Geschichten aus den Socken in Bilder, die nachts zu euch Kindern hinaufschweben.“


Emil war überwältigt. Trillie führte ihn durch Gänge voller leuchtender Erinnerungen – ein Sandkasten-Abenteuer hier, ein Zirkusbesuch da, sogar ein Moment, in dem ein Kind sich zum ersten Mal allein die Schuhe zuband.


„Und das da… das ist dein erster Schneetag.“, sagte Borla sanft und zeigte auf eine Szene, in der ein kleiner Junge mit einer roten Mütze lachend in den Schnee fiel, die Dino-Socken halb im Schnee verborgen.


Als Emil schließlich zurück in seinem Bett aufwachte, lag seine Dino-Socke genau an ihrem Platz, sauber gefaltet und leicht nach Lavendel duftend. Auf seinem Nachttisch lag ein einzelner, glitzernder Knopf, ein Andenken an eine Reise, die niemand sonst verstehen würde.


Und fortan achtete Emil sehr darauf, seine Socken immer ordentlich zu behandeln – nicht nur, weil er keine mehr verlieren wollte, sondern auch, weil er wusste, dass irgendwo tief unter seinem Zimmer kleine Monster lebten, die mit seinen Abenteuern neue Welten erschufen.


„Schlaft gut, Borla und Trillie… bis bald.“, flüsterte er, bevor er die Augen schloss.

Und in der Ferne, ganz tief unter seinem Bett, leuchtete kurz das kleine, runde Türchen auf, bevor es sich wieder schloss.

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