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Weißer Wolf und die schwarzen Bisons - Kinder-Gute-Nacht-Geschichte

  • Autorenbild: Michael Mücke
    Michael Mücke
  • 28. Mai
  • 5 Min. Lesezeit

Weißer Wolf hockt vor dem schwarzen Bison

Die Nacht zog sich in die Dunkelheit, und der Mond schien mit einer silbernen Klarheit über die weite Ebene. Weißer Wolf stand noch immer auf der Lichtung, umgeben von den schwarzen Bisons, deren Schatten in der Ferne wie riesige Ungeheuer aus der Erde wuchsen.


Die Stille war schwer, fast erdrückend, und der Wind schien den Atem des Waldes zu tragen. Es war, als ob die Natur selbst den Atem anhielt, während sie beobachtete, was nun geschehen würde.


Plötzlich hörte Weißer Wolf das Rauschen des Windes, und der Geist des Wolfs erschien erneut vor ihm. „Du hast den ersten Schritt getan, Weißer Wolf,“ sprach der Geist, seine Stimme war ein Flüstern im Wind. „Aber der wahre Pfad ist noch verborgen.


Du musst den Mut aufbringen, das Land der schwarzen Bisons zu betreten, ohne deine Seele zu verlieren. Denn sie sind nicht nur ein Volk von Tieren, sondern die Hüter der uralten Kräfte der Erde. Sie kennen die Geheimnisse des Lebens, des Todes und des Gleichgewichts, das alles miteinander verbindet.“


Weißer Wolf nickte. „Ich werde die Prüfung bestehen, so wie ich sie bestehen muss. Ich werde den Geist der Tiere in meinem Herzen tragen und mich nicht von den Mächten der Finsternis beirren lassen.“


Der Wolf nickte langsam und verschwand wieder in der Dunkelheit. Doch bevor er verschwand, hörte Weißer Wolf noch ein leises Heulen, das sich mit dem Wind vermischte, als ob die Wölfe des Waldes ihm ihren Segen gaben. Jetzt wusste er, dass er nicht allein war, auch wenn er allein stand.


Die schwarze Bisonherde hatte sich inzwischen weiter entfernt, doch Weißer Wolf wusste, dass er ihnen folgen musste, wenn er die Antwort auf das Rätsel finden wollte, das sie bargen. Mit festem Schritt trat er in die Richtung, in die der größte Bison verschwunden war, seine Augen brannten vor Entschlossenheit.


Er wanderte weiter durch das endlose Land, und der Weg schien sich zu dehnen und zu verschlingen. Die Berge, die einst klar und nah gewesen waren, verschwanden in der Dunkelheit, und er fühlte sich, als sei er in einer anderen Welt.


Der Boden unter seinen Füßen war uneben, das Gras war hoch und scharf, und die Bäume standen wie stumme Wächter am Rand der Lichtung. Doch Weißer Wolf ließ sich nicht entmutigen. Mit jedem Schritt spürte er, wie die Luft schwerer wurde, als ob eine unsichtbare Macht sie verdichtete. Er wusste, dass er nun im Land der schwarzen Bisons war.


Nach vielen Stunden erreichte er schließlich einen alten, verwitterten Baum, dessen Wurzeln tief in den Boden gruben. Es war ein Baum, der selbst wie ein lebendiges Monument wirkte, ein Symbol der Weisheit und des Wissens, das über die Jahrhunderte gewachsen war. Weißer Wolf spürte sofort, dass er angekommen war. Dieser Baum war der Eingang zum Reich der schwarzen Bisons.


Er kniete sich nieder und legte seine Hand auf den Boden, um sich mit der Erde zu verbinden. „Große Erde, öffne mir deinen Weg,“ flüsterte er, „ich suche das Wissen der schwarzen Bisons, um mein Volk zu schützen. Lasse mich sehen, was verborgen ist.“


Plötzlich fühlte er, wie der Boden unter seinen Fingern vibrierten. Ein sanftes, fast unhörbares Murmeln begann, sich durch die Erde zu bewegen, als ob die Erde selbst zu ihm sprach. Die Wurzeln des Baumes zuckten und dehnten sich, und Weißer Wolf hörte eine Stimme, die tief und voll war, wie das Echo eines entfernten Donners.


„Du bist angekommen, Weißer Wolf. Du suchst Wissen, doch die schwarzen Bisons sind nicht nur Wächter des Wissens, sondern auch Hüter der Balance. Sie bewahren das Gleichgewicht zwischen den Welten, zwischen dem Leben und dem Tod, zwischen der Welt der Menschen und der der Geister. Nur der Reinste unter den Reinen kann unser Geheimnis verstehen.“


Weißer Wolf blickte auf und sah, wie sich vor ihm der größte Bison materialisierte, umgeben von einem sanften, blauen Licht. Der Bison war noch gewaltiger, als er es sich vorgestellt hatte, seine Augen glänzten nun wie glühende Kohlen und seine Haut schimmerte in einem unnatürlichen Schwarz. Er stand vor Weißer Wolf wie ein lebendiger Berg, ein Titan aus der alten Zeit.


„Du hast den Mut, bis hierher zu kommen,“ sagte der Bison, seine Stimme drang wie ein Beben in den Boden.


„Aber Mut allein reicht nicht aus. Du musst das Geheimnis der schwarzen Bisons erkennen und verstehen, was es bedeutet, wahrhaftig zu leben und zu sterben. Bist du bereit, das Gleichgewicht der Welt zu erfahren?“


Weißer Wolf antwortete ohne zu zögern: „Ja, ich bin bereit. Ich möchte das Wissen der schwarzen Bisons verstehen, um mein Volk zu führen und zu schützen.“


Der Bison nickte langsam. „Dann wirst du die Prüfung bestehen müssen. Die Frage ist nicht, ob du kämpfen kannst. Die wahre Frage ist, ob du bereit bist, das Opfer zu bringen, das notwendig ist, um das Wissen zu erlangen. Um das Wissen über Leben und Tod, über die wahre Bedeutung des Gleichgewichts.“


Weißer Wolf wusste, dass dies kein gewöhnlicher Kampf war. Es war eine geistige Prüfung, ein Test seines Charakters und seiner Seele. Der Bison trat einen Schritt zurück, und der Boden unter Weißer Wolfs Füßen begann zu beben. Der Wind wütete, und der Mond über ihm verfinsterte sich. Er stand nun im Zentrum einer magischen Arena, die nur durch den Fluss der Zeit und den Atem der Erde geschaffen wurde.


„Die Frage, die du beantworten musst, ist diese,“ sagte der Bison mit einer tiefen, gewaltigen Stimme, die den Himmel erschütterte: „Was ist das größte Geschenk, das ein Krieger seinem Volk bringen kann? Ist es der Sieg im Kampf, die Weisheit der Ahnen oder das Opfer seiner eigenen Seele?“


Weißer Wolf schloss die Augen und dachte nach. Er dachte an seine Familie, an seinen Stamm, an die Wölfe, die ihn begleitet hatten. Er dachte an all die Opfer, die die Ältesten gebracht hatten, an die Krieger, die gefallen waren, um das Volk zu schützen.


„Es ist das Opfer der Seele,“ sagte er schließlich, seine Stimme ruhig, aber fest. „Denn nur durch das Opfer können wir das wahre Gleichgewicht zwischen Leben und Tod verstehen. Nur wer bereit ist, alles zu geben, kann das Wissen der Welt empfangen.“


Der Bison starrte ihn lange an, seine Augen funkelten wie Sterne. Schließlich senkte er seinen Kopf und brüllte in die Nacht, ein lautes, erhabenes Geräusch, das die ganze Erde zu erschüttern schien.


„Du hast die Prüfung bestanden, Weißer Wolf. Du hast das wahre Geheimnis verstanden.“


Mit diesen Worten löste sich der Bison in Licht auf, und die magische Arena verschwand. Weißer Wolf stand nun wieder in der weiten Ebene, der Wind war ruhig und die Sterne funkelten klar am Himmel.


Doch er fühlte sich verändert. Er hatte das Wissen erhalten, dass nur der größte Krieger wirklich verstehen kann: Der wahre Wert eines Kriegers liegt nicht in der Zahl der Schlachten, die er gewinnt, sondern in der Weisheit, die er mit anderen teilt, und im Opfer, das er für das Wohl seines Volkes bringt.


Weißer Wolf kehrte zu seinem Stamm zurück, doch er wusste, dass der wahre Kampf nun nicht mehr auf den Schlachtfeldern ausgetragen werden würde. Der wahre Kampf war der Kampf um das Gleichgewicht, der Kampf um das Verständnis der Natur, des Lebens und des Todes.


Und so lebte er fortan als weiser Anführer, der das Wissen der schwarzen Bisons trug und seinen Stamm in eine Zukunft führte, die sowohl von Stärke als auch von Weisheit geprägt war.

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