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Der verhexte Wecker

  • Autorenbild: Michael Mücke
    Michael Mücke
  • 9. Apr.
  • 4 Min. Lesezeit


Emil sitzt in seinem Bett und schaut auf den magischen Wecker

Es war einmal ein Junge namens Emil. Emil war sechs Jahre alt, trug am liebsten sein rotes Kapuzenpulli und hatte eine Vorliebe für alles, was geheimnisvoll war. Jeden Abend las er mit seiner Mutter in alten Märchenbüchern oder beobachtete mit seinem kleinen Teleskop den Himmel über dem Dachfenster seines Zimmers. Doch eines Tages geschah etwas, das selbst Emil nicht in einem Buch hätte finden können.


An einem verregneten Samstagnachmittag, als die Tropfen leise gegen die Fenster klopften und der Wind durch die Äste der Bäume rauschte, fand Emil auf dem Flohmarkt einen besonderen Wecker. Er war alt, golden, und auf dem Zifferblatt war ein kleines, silbernes Mondsymbol eingraviert. Er hatte keine Batterie, sondern musste mit einem Schlüssel aufgezogen werden.


Der Verkäufer, ein alter Mann mit grauem Bart und funkelnden Augen, sagte nur: „Dieser Wecker zeigt nicht nur die Zeit. Er kennt sie.“ Dann drehte er sich um und verschwand in der Menge.


Emil stellte den Wecker auf seinen Nachttisch. In der ersten Nacht passierte nichts. Auch in der zweiten nicht. Doch in der dritten Nacht – genau um Mitternacht – begann der Wecker zu ticken. Nicht laut, aber in einem seltsamen Rhythmus. TIK...tak...TIK...tak...Klong.


Dann ertönte plötzlich eine leise Stimme aus dem Nichts:„Zeit für ein Abenteuer, Emil.“


Emil riss die Augen auf. Er sah sich um, doch sein Zimmer war leer. Der Mond schien durch das Dachfenster, und der Wecker leuchtete schwach. Dann begannen die Zeiger sich schneller zu drehen. Die Luft flimmerte. Und mit einem leisen Summen hob das Bett plötzlich ab – ganz sanft – als würde es fliegen.


„Was passiert hier?“, flüsterte Emil.


Ein Lichtstrahl zog ihn ein, und er fiel, langsam wie in einem Traum, durch ein goldenes Uhrwerk, in dem sich Zahnräder drehten, Pendel schwangen und leuchtende Zahlen umherschwebten. Schließlich landete er sanft auf einem schwebenden Steg aus Holz. Neben ihm stand ein kleiner Vogel in Frack und Zylinder. Er trug eine winzige Brille und hielt eine Taschenuhr in der Kralle.


„Willkommen im Inneren der Zeit,“ sagte der Vogel mit tiefer Stimme. „Ich bin Professor Ticktack, der Hüter des großen Uhrenreichs. Und wir haben ein Problem.“


Professor Ticktack führte Emil durch das Uhrwerk. Sie gingen über Zahnräder groß wie Windmühlen und balancierten über schwingende Pendel. Der Professor erklärte: „Die Zeit besteht aus vielen Teilen. Sekunden, Minuten, Stunden – jede davon ist wichtig. Doch letzte Nacht wurde eine Stunde gestohlen. Und nicht irgendeine – sondern die Geisterstunde, in der Träume entstehen.“


„Wer würde so etwas tun?“, fragte Emil.


„Ein alter Feind der Zeit: Zappelflink, der Zeitkobold. Er lebt im Schatten des Uhrwerks und stiehlt Zeit, um sie zu horten. Wenn wir die Geisterstunde nicht zurückholen, können Kinder auf der ganzen Welt nicht mehr träumen.“

Emil spürte, wie wichtig diese Aufgabe war. Er nickte. „Ich helfe dir.“


Sie reisten auf einer Bahn aus Sekundenzeigern, die sie durch das Land der verlorenen Sekunden führte. Dort trafen sie auf winzige Wesen, die wie Lichtfunken durch die Luft flitzten – die Sekundinos. Sie erklärten Emil, dass jede Sekunde zählt. „Ohne uns gäbe es keine Minuten. Ohne Minuten keine Stunden. Die Zeit ist wie ein Lied – jede Note muss stimmen.“


Ein älterer Sekundino zeigte Emil eine Karte. „Zappelflink hat sich in die Tiefen des Uhrenschattenwalds zurückgezogen. Dort verläuft die Zeit ungenau – mal vorwärts, mal rückwärts.“


Sie machten sich auf den Weg. Der Kompass des Professors zeigte keine Himmelsrichtungen, sondern die Richtungen „früher“, „jetzt“ und „später“. Immer wieder mussten sie Rätsel lösen, um weiterzukommen. Eins lautete:

„Ich bin immer unterwegs, doch bleibe stets hier. Ich fließe unaufhaltsam, doch bin nicht aus Wasser. Was bin ich?“


Emil dachte nach und antwortete: „Die Zeit.“ Der Weg öffnete sich.


Nach einer langen Reise durch Zeitschleifen, tickende Tunnel und ein Labyrinth aus vergessenen Kalenderblättern, standen Emil und Professor Ticktack schließlich vor einer riesigen Sanduhr, in der das Licht gefangen war. Zappelflink saß oben auf der Sanduhr und lachte.


„Ihr seid zu spät! Die Stunde gehört mir. Ich baue mir meine eigene Zeit, in der niemand schlafen, träumen oder warten muss!“


„Aber ohne Träume können Kinder nicht lernen, hoffen oder staunen,“ rief Emil. „Du stiehlst ihnen ihre Wunder!“


Zappelflink schüttelte seine Sanduhr. „Wunder kosten Zeit. Ich will alles sofort!“

Emil erinnerte sich an den Wecker in seiner Tasche. Er drehte den kleinen Schlüssel und stellte ihn auf exakt 00:00 Uhr – Mitternacht.


„Wenn der Wecker klingelt, beginnt die Geisterstunde.“ Professor Ticktack nickte zustimmend.


Der Wecker schlug einmal, zweimal – und beim dritten Schlag entwich ein silberner Strahl. Die Sanduhr zerbrach, Licht quoll heraus, und Zappelflink wurde in eine winzige Taschenuhr gezogen, wo er weiterleben würde – aber nun nur noch für fünf Minuten am Tag.


Die Zeit war wieder hergestellt. Träume begannen sich wieder zu formen – in leuchtenden, bunten Spiralen. Emil spürte, wie ihn Müdigkeit überkam. Professor Ticktack klopfte ihm auf die Schulter.


„Du hast das Gleichgewicht der Zeit bewahrt. Du bist ein Freund der Stunden geworden.“


Emil lächelte. Der Wecker blinkte sanft, und in einem letzten Sog aus Licht und Klang fand sich Emil wieder in seinem Bett. Alles war still. Der Regen hatte aufgehört. Der Mond leuchtete durch das Fenster. Der goldene Wecker stand ruhig auf dem Nachttisch.

Doch diesmal tickte er ganz leise, in einem warmen Rhythmus. Und als Emil die Augen schloss, hörte er noch einmal die Stimme von Professor Ticktack:


„Träume gut, Emil. Die Zeit wacht über dich.“

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