Der fast unsichtbare Dinosaurier - eine vorzeitliche Gute-Nacht-Geschichte
- Michael Mücke

- 4. Okt.
- 3 Min. Lesezeit

Es war einmal ein kleiner Dinosaurier, der hieß Flimmo. Flimmo war nicht so wie die anderen Dinosaurier im großen Tal. Seine Haut war so hell und durchsichtig, dass man ihn fast nicht sehen konnte.
Wenn er zwischen den Farnen stand, sah es aus, als ob nur der Wind die Blätter bewegte. Manche lachten darüber und riefen neckisch: „Wo bist du, Flimmo? Man sieht dich ja kaum!“ Doch Flimmo fühlte sich oft einsam, weil ihn niemand wirklich beachtete.
Eines Tages, als die Sonne warm über die Felsen strahlte, hörte Flimmo ein dumpfes Grollen. Der Boden bebte, Steine rollten den Hang hinab, und in der Ferne sah man eine große Staubwolke aufsteigen. Die Dinosaurier im Tal riefen erschrocken: „Lauft, da kommt etwas Gefährliches!“ Alle rannten in Richtung Fluss, um sich in Sicherheit zu bringen.
Nur Flimmo blieb zurück, weil seine Neugier größer war als seine Angst.
Langsam schlich er den Hang hinauf, beinahe unsichtbar zwischen Farn und Baumstämmen. Plötzlich sah er es: Ein riesiger Ankylosaurus hatte sich zwischen zwei Felsen verkeilt. Sein schwerer Panzer steckte fest, und er brüllte verzweifelt: „Hilfe, ich komme nicht mehr frei!“
Die anderen Dinosaurier hätten sich nie in die Nähe getraut, weil der Ankylosaurus mit seinem knöchernen Schwanz gefährlich aussah. Doch Flimmo wusste, dass er ihm helfen konnte.
Ganz leise schlich er näher. Niemand bemerkte ihn, und auch der Ankylosaurus sah ihn nicht sofort. Flimmo rief vorsichtig: „Ich bin hier, ich helfe dir!“
Der große Dinosaurier blickte überrascht um sich und fragte: „Wer spricht da? Ich sehe niemanden!“ Flimmo trat einen Schritt näher und erklärte: „Ich bin Flimmo, fast unsichtbar, aber trotzdem stark.“
Mit seiner schlanken Gestalt schlüpfte Flimmo geschickt zwischen die Felsen. Er sah eine Stelle, an der ein kleiner Keil aus Stein den Ankylosaurus festhielt. Mit aller Kraft drückte er den Stein zur Seite. Es knackte, rutschte und rumpelte, bis der große Dinosaurier sich endlich befreien konnte.
Der Ankylosaurus schnaufte erleichtert und sagte laut: „Du kleiner Unsichtbarer, du hast mir das Leben gerettet. Ich werde dich nie vergessen.“ Flimmo lächelte, auch wenn man es kaum erkennen konnte. Gemeinsam gingen sie zurück ins Tal, wo die anderen erstaunt warteten.
Die Dinosaurier staunten und riefen durcheinander: „Flimmo hat ihn befreit! Er war mutig und klug!“ Von diesem Tag an wurde Flimmo nicht mehr übersehen. Alle wussten nun, dass seine Unsichtbarkeit ein Geschenk war, das ihn beschützte und anderen helfen konnte.
Doch das war erst der Anfang. Bald darauf kam die nächste Herausforderung. Eines Nachts hörte Flimmo ein leises Rascheln am Flussufer. Er folgte dem Geräusch und entdeckte ein Nest voller kleiner Pterosaurier.
Ihre Mutter flatterte aufgeregt über ihnen und rief: „Meine Kleinen! Sie sind aus dem Nest gefallen und kommen nicht mehr hinauf!“ Die Uferfelsen waren steil und rutschig, und niemand wagte sich hinunter.
Flimmo kletterte vorsichtig den Hang hinab. Niemand konnte ihn von oben sehen, nur die kleinen Pterosaurier bemerkten ihn. „Bitte hilf uns, wir wollen zurück zu Mama!“ rief einer von ihnen. Flimmo nickte und führte die Kleinen Schritt für Schritt den sicheren Weg nach oben.
Seine fast unsichtbare Gestalt machte es leichter, unbemerkt an lauernden Räubern vorbeizukommen. Schließlich erreichten sie alle das Nest, und die Pterosaurier-Mutter bedankte sich tief bewegt: „Du bist unser unsichtbarer Held.“
Am nächsten Morgen sprachen alle Dinosaurier im Tal von Flimmos Taten. Die Großen sagten: „Mut ist nicht immer sichtbar.“ Die Kleinen riefen begeistert: „Flimmo kann Dinge, die niemand sonst kann!“ Flimmo fühlte sich zum ersten Mal nicht übersehen, sondern gebraucht und geschätzt.
Und so lernte er, dass Unsichtbarkeit kein Fluch war, sondern eine besondere Gabe. Er war der Wächter des Tals, der Retter in der Not, der fast unsichtbare Dinosaurier, den nun alle liebten und bewunderten.
Am Abend legte sich Flimmo in sein Farnbett, blickte in den Sternenhimmel und flüsterte: „Vielleicht bin ich nicht zu sehen, aber ich bin da. Und das reicht.“




