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Die verschwundene Osterinsel

  • Autorenbild: Michael Mücke
    Michael Mücke
  • 7. Apr.
  • 4 Min. Lesezeit

Junge sitzt im Boot mit Osterhase

Weit draußen im glitzernden Ozean, dort wo die Wellen singen und der Himmel immer blau ist, lag einst eine geheimnisvolle Insel. Sie war klein, von Palmen gesäumt und von bunten Blumen überzogen. Doch sie war kein gewöhnlicher Ort. Die Insel hieß Osterinsel, weil jedes Jahr zu Ostern etwas ganz Besonderes geschah.


Hier lebten keine Menschen. Nur Tiere. Fröhliche Hasen, kluge Schildkröten, lachende Papageien und sogar ein alter, weiser Uhu. Das ganze Jahr bereiteten sich die Hasen auf ein einziges Fest vor: das große Osterleuchten. Dabei versteckten sie magische Eier auf der ganzen Insel, und alle Tiere kamen zusammen, um zu suchen, zu lachen und Geschichten zu erzählen. Die Eier waren nicht nur schön bemalt, sie flüsterten kleine Lieder, wenn man sie in der Hand hielt.


Aber in diesem Jahr war alles anders.


Es war ein Tag vor Ostern. Der Himmel war klar, das Meer ruhig. Doch plötzlich passierte etwas, das noch nie zuvor geschehen war. Die Insel begann zu beben. Die Palmen wackelten, die Blumen schlossen sich, und ein riesiger Schatten schob sich über den Ozean. Dann – Stille. Und als die Sonne am nächsten Morgen aufging, war die Osterinsel verschwunden.


Ganz verschwunden. Vom Meer verschluckt. Kein Hase, keine Blume, kein einziges Osterei war mehr zu sehen.


Doch nicht weit entfernt, in einem kleinen Küstendorf, lebte ein neugieriger Junge namens Timo. Timo liebte Ostern. Er sammelte jedes Jahr die buntesten Eier, bastelte Körbchen aus Moos und hatte ein besonderes Talent: Er konnte Dinge hören, die andere nicht hörten. Wenn der Wind durch die Bäume fuhr, hörte Timo Worte. Wenn die Wellen am Ufer plätscherten, hörte er Lieder.


An diesem Morgen, als die Insel verschwand, wurde Timo von einer Stimme geweckt.


„Timo... hilf uns... wir sind verloren...“


Er setzte sich auf, blinzelte und lauschte. Da war wieder dieses Flüstern. Es kam vom Meer. Ganz leise. Ganz dringend.


Er rannte zum Strand, barfuß, mit dem Schlafanzug noch an. Dort, auf einem Felsen, saß ein Hase. Aber nicht irgendein Hase. Er war schneeweiß, hatte ein goldenes Ei unter dem Arm und trug eine kleine blaue Weste.


„Du kannst uns hören. Dann bist du der Richtige. Die Insel ist verschwunden. Wir brauchen deine Hilfe.“


Timo traute seinen Augen nicht. „Eine sprechende Hase? Eine verschwundene Insel? Wie... wie soll ich helfen?“


Der Hase sah ihn mit großen Augen an.


„Nur ein Kind mit einem offenen Herzen kann die Osterinsel finden. Sie wurde verzaubert und in einen Traum gesperrt. Wenn niemand sie rettet, wird es nie wieder ein Osterleuchten geben.“


Timo zögerte keine Sekunde. Er wusste, dass er gehen musste. Der Hase streckte ihm das goldene Ei entgegen.


„Halte das fest. Es zeigt dir den Weg.“


Kaum hatte Timo das Ei berührt, wurde der Strand hell. Ein Regenbogen aus Licht erschien über dem Meer. Der Hase sprang in ein kleines Boot, das plötzlich aus dem Nichts auftauchte.


„Steig ein. Die Zeit läuft.“


Timo setzte sich neben ihn, das Ei fest an sich gedrückt. Das Boot glitt los, geräuschlos, über das Wasser. Es war, als würden sie durch Luft und Licht zugleich reisen. Die Wellen leuchteten unter ihnen. Fische sprangen in Farben, die Timo noch nie gesehen hatte.


Nach einer Weile erreichten sie eine dichte Nebelwand. Der Hase sagte:

„Das ist der Schleier der Träume. Dahinter liegt die vergessene Welt.“


Sie fuhren hindurch, und plötzlich war da wieder Land. Doch es war nicht mehr dieselbe Osterinsel. Alles war grau. Die Blumen waren welk, die Palmen kahl. Kein einziges Osterei lag im Gras. Die Tiere saßen still in Gruppen und schauten traurig zu Boden.


Timo stieg aus und sah sich um. „Was ist hier passiert?“

Eine Schildkröte, deren Panzer einmal mit bunten Mustern verziert war, hob den Kopf.


„Der Dunkelwind kam. Er nahm unsere Farben und versteckte die Freude.“


Timo spürte, wie das Ei in seiner Hand warm wurde. Es begann leise zu summen. Der Hase flüsterte:

„Das Ei kennt den Weg. Folge seinem Licht.“


Und tatsächlich. Aus dem Ei kam ein feiner Lichtstrahl, der über den Boden wanderte. Timo folgte ihm, durch das graue Gras, vorbei an den traurigen Blumen, bis zu einer Höhle, versteckt zwischen Felsen.


Im Inneren war es kalt. Dunkel. Aber im Herzen der Höhle saß etwas. Ein Schatten mit roten Augen. Es war der Dunkelwind.


Er sprach mit einer Stimme wie brechendes Eis.


„Warum kommst du, Kind? Das Licht gehört nicht mehr hierher.“


Timo trat vor. „Doch. Es gehört hierher. Denn ohne Licht gibt es kein Lachen. Kein Suchen. Kein Frühling.“


Das Ei in seiner Hand begann zu leuchten. Erst sanft. Dann hell. Dann so stark, dass selbst die Felsen glitzerten. Der Dunkelwind zuckte zurück.

„Nein... das Licht darf nicht...“


Doch es war zu spät. Das Ei brach auf. Aus ihm strömte ein Strom aus Farben. Rot wie die Liebe. Blau wie der Mut. Gelb wie die Freude. Grün wie die Hoffnung. Sie wirbelten durch die Höhle, über das Land, über die ganze Insel.


Die Blumen öffneten sich. Die Palmen reckten sich. Die Eier kehrten zurück und sangen ihre kleinen Melodien. Die Tiere jubelten.


Der Dunkelwind war verschwunden. Nur ein leiser Windhauch blieb zurück. Und eine Ruhe, die nach Heimkehr klang.


Der Hase sah Timo an.

„Du hast Ostern gerettet. Ohne dich gäbe es kein Leuchten. Kein Lachen. Kein Wunder.“


Timo lächelte. „Ich hab nur das Richtige getan.“


Er kehrte heim mit dem Boot aus Licht. Am Morgen wachte er in seinem Bett auf. Das goldene Ei lag noch auf seinem Nachttisch. Und draußen auf der Wiese, da lagen bunte Eier. Überall. Und in einer Hecke raschelte es.


Vielleicht war es nur ein Traum, vielleicht auch nicht.


Aber eines ist sicher: Seit jenem Tag war Ostern in Timos Dorf bunter, fröhlicher und voller Wunder als je zuvor.


„Gute Nacht, kleiner Held. Träum weiter. Die Welt braucht dich.“

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